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Kriegsanlässe an der Kurpromenade (Bad Ems)

Bad Ems, Kurpromenade an der Lahn

Angesichts der erschreckend vielen Kriege, die 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs in und um Europa herum laufen, wird viel diskutiert und aus der Geschichte gelernt. Lehren werden aus 1914, 1938, 1939 und anderen Jahren auch noch gezogen. Bloß ziemlich unterschiedlich sind sie. Eine deutsche Stadt, die einiges mit der Ukraine zu tun hat, ist Bad Ems (Rheinland-Pfalz).

Bad Ems, Emser Erlass-Gedenktafel

Dort hat im Jahr 2009 sogar die ukrainische Botschafterin eine Gedenktafel enthüllt. Wie es zuging, steht auf der Webseite der deutschen Ukrainischen Orthodoxen Kirche. Die Tafel ist an einem ehemaligen Hotel angebracht, das einst russischen Zaren als „inoffizielle Sommerresidenz“ (bad-ems.info) diente. Zar Alexander II. hatte darin 1876 den „Emser Erlass“ zum Verbot der ukrainischen Sprache im damals sehr großen russischen Reich bzw. zur „Unterdrückung der ukrainischen Kultur durch das Verbot von Druckschriften und Aufführungen in der ukrainischen Sprache“ unterschrieben. Es war nicht der erste entsprechende Ukas. Dass er das ukrainische Nation-Building entscheidend verstärkt hat, lässt sich aus heutiger Sicht wohl sagen.

Bad Ems, Kurpromenade

So erstaunlich wie die Fortwirkung des dadurch verschärften Streits rund anderthalb Jahrhunderte später ist auch der Ort. Wer vom Bahnhof aus an der Lahn entlang zum Vier-Türme-Haus mit der Gedenktafel im Kurpark geht, kommt zunächst am viel bekannteren Emser Kriegsanlass-Ort vorbei. An der Stelle der Kurpromenade, an der die Emser Depesche ihren Ausgang nahm, erinnert ein Denkmal an diesen aus gegenwärtiger west- und mitteleuropäischer Sicht zum Glück unglaubliche Sache.

Bad Ems, Kriegsanlassort (Emser Depesche)

Grob gesagt, ging es darum, dass die Spanier sich 1870 für den Posten ihres konstitutionellen Monarchen einen mit dem preußischen König Wilhelm entfernt verwandten Hohenzollern (aus dem schwäbischen, katholischen Sigmaringen) ausgesucht hatten, Frankreich dagegen hatte verlangt, dass dieser Verwandtschaft wegen kein Hohenzoller spanischer König werden dürfe. Und Wilhelm pflegte, wie der Zar, in Bad Ems zu kuren, seitdem sein Königreich sich die Stadt mitsamt dem zuvor souveränen Staat Nassau (der bzw. dessen Herzog im deutsch-deutschen Krieg von 1866 auf der falschen Seite gestanden hatte) einverleibt hatte. Dort auf der Kurpromenade hatte der französische Botschafter ihm seine Forderungen noch mal gestellt. Der König hatte zwar zugesagt, seinen Verwandten vom spanischen Thron abzuhalten, aber nicht nicht so grundsätzlich, wie dieser Vincent Benedetti es gerne gehabt hätte.

Bad Ems, Erklärtafel zur Emser Depesche
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Einen Bericht über diese Begegnung hatten Wilhelm bzw. der Wirkliche Geheime Legationsrat Heinrich Abeken in seiner Begleitung dann in der seinerzeit schnellsten Art der Nachrichtenübermittlung, als Depesche, an den Ministerpräsidenten in Berlin gekabelt. Und dieser Otto von Bismarck – fun fact: Als Kanzler des von 1867 bis 1871 bestehenden Norddeutschen Bundes war er seinerzeit der erste deutsche Bundeskanzler … – hatte den Inhalt in etwas schärferer Form an das seinerzeit schnellste Nachrichtenübermittungs-, also Massenmedium, die Presse gegeben.

Bad Ems, Spielbank

Und da die Presse damals nirgendwo friedliebend war, hat er durch diese Veröffentlichung Frankreich zur Kriegserklärung provoziert, wie er es auch beabsichtigt hatte – so etwa der Ablauf der Ereignisse. Dass der Ablauf noch vor wenigen Jahren umstritten war oder weiterhin ist, zeigt etwa eine [auch hier zitierte] Buchbesprechung Hans-Ulrich Wehlers aus dem Jahr 2008: Endlich stehe fest, dass auch der Krieg von 1870/ 71 „in die Kontinuität der 1864, 1866, 1914, 1939 von Deutschland provozierten Kriege gehört, mithin keineswegs das Ausnahmebeispiel eines aufgezwungenen Verteidigungskriegs darstellt“, schrieb der 2014 verstorbene Historiker. Falls nicht andere Debatten von 2014 zeigen, dass über genaue Schuldanteile an lange überwundenen Kriegen zu streiten, keine tatsächlich sinnvolle Beschäftigung ist, ließe sich darüber wahrscheinlich immer noch streiten.

Bad Ems, Zar-Alexander II.-Büste

Doch, ob der Depeschen-Text nun so oder so lautete, muss deswegen aus heutiger Sicht niemand einen Krieg erklären. „Following further improper translations and misinterpretations of the dispatch in the press, excited crowds in Paris demanded war, just as Bismarck had anticipated“, fasst es die englischsprachige Wikipedia zusammen. Dass „der Kaiser den Krieg so plötzlich vom Zaun gebrochen hat“, urteilte zeitgenössisch der gewiss nicht preußenfreundliche Exil-Preuße Friedrich Engels in London für die US-amerikanische „Pall Mall Gazette“. Wobei der Kaiser 1870 eben noch nicht Wilhelm war (der es erst am Ende dieses Krieges wurde), sondern Napoleon III., der im selben Krieg seinen Titel als Kaiser der Franzosen verlor.

Pazifisten waren zu dieser Zeit selten gewesen. In Europa habe „eine Art von Kaltem Krieg“ geherrscht, schrieb wiederum Wehler. Preußen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei der drei Bismarck-Kriege geführt. In der Ära Napoleons III. waren die Franzosen zum Beispiel in Indochina imperialistisch engagiert gewesen, hatten in Mexiko noch einen Kaiser inthronisiert (den Österreicher Maximilian, der am ehesten noch durch seine standrechtliche Erschießung als Manet-Gemälde-Motiv bekannt ist) und sich am italienischen Einigungskrieg 1858/ 59 beteiligt, der auch Bismarck inspiriert hatte. Überdies – 2014 wieder interessant – waren die Franzosen am Krimkrieg beteiligt gewesen. Dieser Krieg der 1850er Jahre spielt noch Rollen in der nicht schönen Entwicklungsgeschichte der „modernen Kriege“ und der Kriegsberichterstattungs-Geschichte, ist ansonsten im Rückblick ein ganz besonders unverständlicher. Bemerkenswert scheint aus deutscher Sicht, dass er zu den eher wenigen Kriegen ohne preußische Beteiligung gehört. Eine Koalition aus Briten, Franzosen und dem Osmanischen Reich hatte gegen das Russische Reich jenes Zars Alexander gekämpft, der 20 Jahre später dann seinen Emser Ukas unterschrieb.

Bad Ems, russische Kirche

Bad Ems sieht heutzutage bei Sonnenschein wie mindestens Baden-Baden oder Bad Kissingen aus, also wie ein mondäner Badeort. Das „Flair von Zaren, Königen und Kaisern“ und die „Nostalgie eines Weltbades der historischen Ost-West-Achse Paris-Moskau an der Lahn entlang“, deren der Ort sich heute rühmt, ist tatsächlich noch ein wenig spürbar. Dazu bei tragen an Häusern angebrachte und in den Boden eingelassene Texttafeln, die auch gerne an damalige internationale Prominenz erinnern: zum Beispiel an Jacques Offenbach, der gebürtiger Deutscher bzw. (weil es 1819 gar kein Deutschland gab) als Kölner gebürtiger Preuße, aber in Paris berühmt geworden war. Er „inszenierte von 1858 bis 1870 im Emser Cursaal regelmäßig Sommertheater“; nach dem von der Emser Depesche mit verursachten deutsch-französischen Krieg war er dann eher in den USA unterwegs gewesen.

Bad Ems, Gogol war auch da

Außerdem stolz ist Bad Ems auf Aufenthalte etwa von Nicolo Paganini, Franz Liszt und Giacomo Meyerbeer (noch so einem, wie man heute sagen würde, Deutsch-Franzosen), sowie von Nikolai Gogol – um dessen ukrainische oder russische Nationalität in diesem Jahrhundert ein Streit (siehe hier/PDF, dort) entbrannt ist, der vor diesen wenigen Jahren noch skurril erscheinen mochte. Im sehr kurzen Rückblick zeigt sich, dass sich darin schon Argumente aus dem kurz darauf tobenden Krieg in der Ostukraine gespiegelt haben.

Bad Ems, Emser Pastillen im Stadtmuseum

In Bad Ems spiegelt sich bei schönem Wetter bloß die Sonne in der goldenen Kuppel der russischen Kirche. An der Kurpromenade kann man sich heißes Heilwasser zapfen. Der Ort hat sich sein Gesundheits-Flair erhalten – ungefähr so ein geläufiger Begriff wie die Emser Depesche sind Emser Pastillen, die tatsächlich noch am Lahnufer hergestellt werden. Auch heutzutage sind dort, wie in anderen deutschen Kurorten, die ihren Glamour erhalten haben, Russen unterwegs – oder Ukrainer. Das lässt sich auf Anhieb schließlich nicht unterscheiden.

Die Beatles übrigens, denen in Bad Ems auch ein Museum gilt, sind wohl niemals dort gewesen.

Ein Kommentar

  1. Zu Bad Ems wäre mir bis vor kurzem nichts eingefallen – obwohl ich in Hessen groß geworden bin. Doch jetzt habe ich diesen Blogeintrag entdeckt und kurz zuvor noch das Buch „Herkunft“ von Botho Strauss gelesen, der in Bad Ems aufwuchs und in dem Buch diese Zeit, in der man das „Hut ziehen“ voreinander noch wörtlich nahm, wunderbar schildert: http://thomasbrasch.wordpress.com/2014/10/04/sturmt-die-buchhandlung-botho-strauss-herkunft-befuhlen-beschnuppern-und-lesen/

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