Noch eine nicht im engeren Sinne schöne Stadt mit M, die statt mit einem hübsch restaurierten Marktplatz eher durch schroffes Nebeneinander von Architekturstilen fasziniert: Magdeburg. Anders als Marl ist es allerdings Bundeslands-Hauptstadt und hat schon auf die ersten Blicke viel zu bieten. Zum Beispiel grob geschätzt so viele hochmittelalterliche Sakralbauten mit jeweils zwei Türmen wie Nach-Wende-Shoppinghöllen -center.
Außerdem eine Menge sozialistischen Realismus (und zwar sowohl klassizistische „Stalingotik“ als auch pure Platte), preußische Festungs- und Exerzierplatzarchitektur und ein besonders aufdringliches -fälliges Hundertwasser-Haus mitten in der Stadt. Überdies stehen zwischen sehr breiten Autostraßen diverse Zeugnisse der Gotik und der Romanik aus viel früheren Jahrhunderten. Diese Mischung ergibt Sinn, weil eben das da steht, was aus den jeweiligen Epochen stehen geblieben ist.
Und zerstört worden ist Magdeburg öfters, nicht nur im Zweiten Weltkrieg. Das „Massaker von Magdeburg“ 1631 durch die kaiserlich-katholische Armee, nach dem die Einwohnerzahl der Stadt von 30.000 auf 450 gesunken sein soll, gilt als Höhe- bzw. eher Tiefpunkt des Dreißigjährigen Krieges. Die Top-Sehenswürdigkeit wiederum, der Dom, wurde ab 1209 errichtet, nachdem der im 10. Jahrhundert gebaute Vorgängerbau bei einem großen Stadtbrand abgebrannt war. Mit seinen gut 100 Meter hohen Türmen überragt der Dom die anderen Bauten der Stadt. Er gilt als älteste gotische Kirche auf deutschem Gebiet (und zwar auch des seinerzeitigen Heiligen Römisches Reichs, also selbst wenn man das Straßburger Münster einbezieht). In manchen Zeitungsartikeln aus den letzten Jahren schimmerte durch, dass man in Magdeburg etwas unter der größeren Aufmerksamkeit leidet, die der Kölner Dom bekommt, obwohl der ja erst tief im 19. Jahrhundert fertiggebaut worden ist. Dagegen stand der Magdeburger immerhin nach nur 311 Jahren Bauzeit schon 1520 vollständig.
Ein anderer der zweitürmigen Kirchenbauten wurde mindestens fünfmal neu aufgebaut: Die Türme der Johanniskirche sehen wegen ihrer Versiegelung mit einer Kalkzement-Mörtel-Schutzschicht geradezu bunkerartig aus. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie seit ihrem bisher letzten Wiederaufbau in der DDR-Zeit gar keine Kirche mehr ist (sondern im Moment Veranstaltungsraum; „die exklusivste und herausragendste Veranstaltung ist zweifellos die Silvestergala ‚Opera, Pasta & Dolci'“), sagte man mir dort. Allerdings zeigen alte Fotos aus den 1930er Jahren, dass die Kirche damals schon genauso aussah.
Dass Magdeburg vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine Menge weiterer Kirchen enthielt, die in der DDR gesprengt statt wiederaufgebaut wurden, zeigt eine „Meditations-„Ausstellung in der (ein- oder beinahe keintürmigen) Wallonerkirche. Wie die Sakralbauten in der Plattenbauten-Umgebung stehen, lässt sich am besten von dem Johanniskirchturm aus anschauen, den man (auf sehr mittelalterlichen Treppenstufen) hinaufsteigen kann.
Das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt, ein sehr romanisches, wiederum zweitürmiges, ist schon seit dem Abzug der Mönche von dort im Dreißigjährigen Krieg keine Kirche mehr. Es heißt zwar noch „Klosterkirche Unserer Lieben Frauen“, enthält seit 1974 aber ein Kunstmuseum, vor allem für sehr moderne Kunst, für sehr alte aber auch. Ich würde sagen, solche Kontraste tun beiden Kunstarten gut.
Am Domplatz, der nach den Zerstörungen des 17. Jahrhunderts sehr sichtlich als preußischer Exerzierplatz angelegt wurde, sitzen in barocken Gebäuden diverse Regierungsinstitutionen des Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Knapp versetzt dahinter, zur Elbe hin, steht das Haus der Romanik, das also über diese Epoche informiert. Darin muss man zwar aufpassen, nicht von sachsen-anhaltinischem Hochglanz-Werbematerial erschlagen zu werden. Doch zeigt die Ausstellung, dass elektronische Mitmach-Musemspädagogik nicht unbedingt infantil eingesetzt zu werden braucht: Die Multiple-Choice-Quizfragen auf dem Touchscreen zum mittelalterlichen Recht des „Sachsenspiegels“ können zum Beispiel zur verblüffenden Erkenntnis führen, dass mittelalterliches Rechtsempfinden sich gar nicht so ungeheuer von heutigem unterscheidet.
Vielleicht wäre es noch ganz schön, wenn die „Ottostadt“, wie Magdeburg sich in Bezug auf Otto I. (den ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, als dessen damalige Hauptstadt sich Magdeburg sieht) und Otto von Guericke, den in der Stadt omnipräsenten Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, gern nennt, ihre noch omnipräsentere „Otto shoppt gern“/ „Otto knuddelt“-Werbung ein wenig weniger albern gestalten könnte.
Andererseits, dass Otto gerne shoppt bzw. sich zumindest freut, wenn die Magdeburger shoppen, steht natürlich schon deshalb außer Zweifel, weil ein besonders üppiges Shoppingdings der Stadt der Otto’schen ECE-Gruppe gehört.
P.S.: Magdeburg enthält doch einen restaurierten Marktplatz – inklusive einer hässlich vergoldeten Nachbildung des Magdeburger Reiters (dessen einst wohl ebenfalls buntes Original nun als Sandstein-Statue im Museum steht und den schönen Superlativ „erstes erhaltenes freiplastisches Reiterstandbild seit dem Ausgang der Antike“ verkörpert) und eines beinahe Hundertwasser-haften, in der lang verlorenen Originalversion angeblich auch fast mittelalterlichen Hirschs. Die Enten, die auf dem Foto unten vor dem Marktplatz entlangwatscheln, sind aber absolut gegenwärtig.