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Burg Bodenstein im Eichsfeld

Mosaiksteinchen (3): Wintzigerode im Eichsfeld

Wintzigerode ist echt nicht groß. Das Dorf, das seit 2004 Stadtteil der Doppelstadt Leinefelde-Worbis ist, liegt im ebenfalls nicht ungeheuer bekannten Eichsfeld. Dort, wo diese Region bekannt ist: in Südniedersachsen und im westlichen Thüringen, ist sie als katholisch geprägte Enklave in evangelisch geprägtem Umland bekannt. Bei aller Säkularisierung besitzt so was ja immer noch gewisse Bedeutung – wenn etwa an katholischen Feiertagen die einen frei haben und zum Einkaufen dahin fahren, wo die anderen nicht frei haben …

Burg Bodenstein hoch über Wintzigerode im Eichsfeld
Das Eichsfeld ist nicht nur Feld, sondern enthält auch Berge

Die katholische Prägung rührt daher, dass das Eichsfeld allerhand Jahrhunderte lang zum keineswegs in der Nähe gelegenen Kurfürstentum Mainz gehörte. Dessen Herrscher, die Erzbischöfe von Mainz, besaßen im alten Deutschen Reich (HRR) als Vizekanzler viel Macht und waren natürlich streng katholisch. Was daher für alle Untertanen auch zu gelten hatte.

Wintzigerode, die alte und evangelische Dorfkirche
Man sieht’s ihr nicht unbedingt an, doch diese Dorfkirche ist evangelisch.

Doch wie sich das im deutschen Föderalismus mit seinen bunten Landkarten so verhielt (und -hält): Enklaven bzw. Exklaven gab es viele, auch innerhalb von Enklaven. Die fünf Dörfer große Herrschaft Wintzigerode erlangte als evangelische Enklave im katholischen Eichsfeld leicht überregionale Bekanntheit. Wie das kam, davon erzählt nicht ungeheuer authentisch, aber sowohl ganz spannend als auch differenziert, der Historienroman „Die von Wintzigerode“. Bei projekt-gutenberg.org ist das Werk des Dichters Paul Schreckenbach von 1905 verfügbar.

Die Burg Bodenstein, die hoch über Wintzigerode thront und dessen Namen keine Ehre macht, weil sie eine mächtige Höhenburg ist, spielt eine Hauptrolle im Roman. Ob die Herren von Wintzigerode jenseits der Konfessionsfreiheit echt selbstständig waren oder doch den Mainzern untertan, darüber gingen die Meinungen auseinander (wie auch oft im Föderalismus). Den klangvollen Titel der Reichsgrafen erlangten sie erst ganz am Ende des Alten Reichs, auch wieder dank Föderalismus: Georg Ernst Levin von Wintzingerode war erst Oberhofmeister (sowie Lebenspartner, später auch Ehemann) einer nicht nur, aber auch an Einfluss reichen Kasseler Fürstin, die von Geburt außerdem preußische Prinzessin war. Später wirkte er als Kriegsminister in Württemberg. Und Protektion mächtigerer Staaten half beim Aufstieg in den Reichsadel. Falls die Kaiser in Wien seinerzeit nicht sowieso nur noch darauf achteten, dass die Aufsteiger für die Rangerhöhungen genug bezahlten.

Zwischen Dorf und Burg: eine reichsgräfliche Gruft

Ein anderer von Wintzingerode zählte zur selben Zeit zu den wichtigsten Feldherren der zaristisch-russischen Armee, die im Kampf gegen Napoleon bis nach Paris zog. Es ranken sich also allerhand Geschichts-Geschichten um die schöne Burg. Ganz gut besichtigbar ist sie, weil sie der evangelischen Kirche gehört.

Das Dorf Wintzingerode und die Burg Bodenstein liegen in Thüringen wenige Kilometer hinter Duderstadt im südniedersächsischen Landkreis Göttingen, und das hat mit einer gegenwartsnäheren Geschichts-Geschichte zu tun. Obwohl das Eichsfeld wie gesagt eine relativ homogene Region bildete, wurde sie auf dem Wiener Kongress 1815 auf die Königreiche Hannover im Westen und Preußen im Osten aufgeteilt.

Vermutlich sorgte diese Grenze schon damals für Ärger, da sie die Einheimischen oft von Nachbarorten abschnitt, die plötzlich im Ausland und vor allem: hinter Zollschranken lagen. Noch mal dramatisch viel störender wurde dieselbe künstlich gezogene Grenze aber erst 130 Jahre später, als sie zur DDR-Grenze zur BRD wurde.

So gesehen bleibt schön, dass die heute thüringisch-niedersächsische Grenze inzwischen ungefähr so gleichgültig ist, wie die Frage nach (christlichen) Konfessionen.

Felder ohne Berge enthält das Eichsfeld aber auch.


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