Hexentürme gibt es vielerorts, nur zum Beispiel auch in Prenzlau. Ihr Name erinnert daran, dass einst dort sogenannte Hexen gefangen gehalten wurden, und entfaltet wohligen Grusel mit Fantasy- bzw. Märchen-Anteilen. Schließlich ist diese finstere Epoche der frühen Neuzeit lange vorbei. Im bayerischen Zeil (fast) am Main heißt der erhaltene Torturm ebenfalls Hexenturm.
Eigentlich aber hatten sämtliche 23 Türme der Stadtmauer, von denen so einige kleinere erhalten sind, als solche Hexengefängnisse gedient. Denn bis zur Napoleonszeit gehörte Zeil zum Fürstbistum Bamberg. Das Finanzamt schräg gegenüber dem Turm war einst ein Jagdschloss der Bamberger Bischöfe. Deren Herrschaftsgebiet galt als Hochburg der Hexenverfolgung. Und Zeil, als Exklave im Gebiet des Fürstbistums Würzburg (das zwar zeitweise von denselben Bischöfen regiert wurde, manchmal aber auch Ausland war) gelegen, wurde sozusagen zur Hochburg in der Hochburg, als 1626 eine Sonderkommission dorthin entsandt wurde.
Damals wurden „uff de 25 Gefenckniss“ in sämtlichen Türmen der Stadtmauer und einigen Privathäusern eingerichtet, erfährt man im Hexenturm, der seit 2011 ein Museum Dokumentationszentrum ist. Rund 400 Namen gefangener, gefolterter und getöteter angeblicher Hexen sind bekannt und werden im Turm auch genannt. Im Lehrerhandout des Museums heißt es:
„In Zeil am Main wurden zahlreiche Opfer ‚begnadigt‘, d.h. man köpfte sie erst und verbrannte dann den Leichnam.“
Denn
„um die Holzersparnis noch zu steigern, wurde 1627 bei Zeil ein Brennofen errichtet, modern gesprochen ein Krematorium. Auf dem runden Steinbau fanden die Enthauptungen statt. Ins Innere führten zwei Türen: Durch die obere warf man die Leichen auf einen Rost, durch die untere schürte man das Feuer unter dem Rost.“
Wahrscheinlich ist es nicht zynisch zu schreiben, dass es für die Opfer weniger furchtbar war, geköpft statt lebendig verbrannt zu werden. Aber um Menschlichkeit ging es nicht, sondern darum, im Städtchen, dessen waldiges Umland Würzburger Ausland war, das vor lauter Verbrennungen knappe Holz zu sparen.
Vielleicht legt das Krematoriumskonzept Assoziationen zu späteren, jüngeren deutschen Geschichte nahe. Verbindungen zur internationalen Gegenwart ließen sich aber auch ziehen, schon weil durch die Folter immer auch „Namen anderer angeblicher Hexen erpresst“ werden sollten, und Folter ja auch tief im sog. Westen keineswegs zur Vergangenheit zählt.
Solche Querverbindungen muss (oder kann) man sich natürlich selber denken. Das Zeiler Hexenmuseum lässt bloß eindrucksvoll ein ziemlich finsteres Bild des 17. Jahrhunderts entstehen. Außer dem Turm selbst, in dem auch ein Verlies enthalten ist, gibt es keine Exponate aus dieser Zeit. Zum radikalen Wahn gehörte auch, dass nichts erhalten bleiben sollte. Bloß Briefe sind überliefert und werden nun auf illuminierten Texttafeln mit ein paar Feuerloder-Geräuschen inszeniert. Sie zeigen, dass die irrsinnige Hexenverfolgungswelle auch im Bamberger Gebiet selbst diskutiert wurden. Der Bürgermeister Johannes Junius etwa protokollierte zunächst die Verfolgungen und Ereignisse, hinterfragte sie dann auch – und schließlich selbst im Hexengefängnis zu landen, gefoltert und hingerichtet zu werden.
Wo genau Hexen (und Hexer) verbrannt wurden und wo nicht, dafür gibt es kein Muster. Im Heiliges Römischen Reich deutscher Nation wurden in vielen protestantischen wie katholischen Gebieten vermeintliche Hexen verfolgt, in vielen protestantischen und katholischen Gebieten aber auch nicht. Das hing von der „Hexenpolitik der einzelnen Herrschaften“ ab, heißt es im Museum. In eher größeren Staaten und in Reichsstädten mit oft zumindest ein paar demokratischen Elementen im Regierungssystem geschah es seltener. Im streng katholischen Bamberg wurde der Wahnsinn dann mitten im Dreißigjährigen Krieg sowohl durch den katholischen Kaiser, der sich im bereits begrenzten Rahmen seines Einflusses dagegen aussprach, als auch durch die protestantischen Schweden beendet. Sie zogen im selben Krieg nach Süden, plünderten gerne (vor allem katholische) Städte und befreiten bei der Gelegenheit die letzten Insassen der Zeiler Hexenverliese.
Dass Zeil weiterhin ziemlich katholisch ist, sieht man an vielen Stellen. Über der Stadt im Wald gibt es außer einer pittoresk zugewachsenen Burgruine ein „Käppele“ – eine weder alte noch auffällig schöne, aber weiterhin als Wallfahrtsziel genutzte Kirche, die sich „fränkisches Lourdes“ nennt.
Oben auf dem Dach thront eine goldene Madonna/ Marienstatue, die die Zeiler aus Dankbarkeit dafür stifteten, dass sie von der Schlacht von (Bad) Kissingen 1866, der letzten eigenständigen Schlacht der bayerischen Armee (die sie gegen die Preußen verlor), nur den Kanonendonner mitbekamen, aber sonst nichts
Schön ist aber der Blick hinab und auf die Hassberge, deren Name nicht etwa aus der Hexenjagd-Zeit herrührt, sondern etymologisch mit Hessen oder Hasen zusammenhängt.
Zeil selbst enthält außerdem eine gute, knapp über ein halbes Jahrtausend alte Brauerei, aber auch Weinkellereien. In der Tourist Information hinter dem Marktplatz wird Besuchern gerne mal ein Glas lokaler Bacchus eingeschenkt. Heutzutage ist dieses Zeil ein freundliches Städtchen.
Kleine Anmerkung : Genaugenommen ist der „Zeiler Hexenturm“ kein Museum, sonderm ein „Dokumentationszentrum“. (Dies ist auch die offizielle Bezeichnung, eben weil keine historisch relevanten Exponate vorhanden sind. Dafür ist die schriftliche Quellenlage eine sehr gute).