Man muss vermutlich Oberpfälzer sein, um von der offiziellen Abkürzung „OPf.“ oder „Opf.“ auf die Oberpfalz zu schließen. Wieauchimmer, der Stadt Neumarkt i.d.OPf. gelingt das keineswegs selbstverständliche Kunststück, auch bei grauem Himmel schön und authentisch bunt auszusehen.
Angesichts der vielen Häuser mit eckigen Blendgiebeln fragt man sich bald, ob sie alle seit der Renaissance erhalten geblieben sind.
Sind sie nicht. Vielmehr war Neumarkt am Ende des Zweiten Weltkriegs sogar zu 92 Prozent zerstört. Selbst der Reitstadel, ein in seiner ohne Weiteres nach früher Neuzeit aussehenden Schlichtheit wirklich schönes Gebäude, stand zwischen damals und 1981 gar nicht neben dem Schloss und wurde erst dann als Kulturzentrum wiederaufgebaut. Ursprünglich war es das Zeughaus des Pfalzgrafenschlosses, des heutigen Amtsgerichts, das darauf verweist, dass Neumarkt wie ungefähr jede zweite deutsche Stadt auch Residenz war.
Seine Residenzgeschichte ist in ihrer Verzwicktheit durchaus repräsentativ: Der erste Pfalzgraf, der in Neumarkt residierte, Johann, hatte das Gebiet im Rahmen einer Erbteilung der Kurpfalz, also des Gebiets am Rhein und um Heidelberg herum, bekommen. Überhaupt trägt die Opf. ihren Namen, weil sie im Mittelalter als entfernte Exklave zur pfälzischen Pfalz gehört hatte. Johanns Sohn Christoph erlebte einen tollen Aufstieg: In den 1440er Jahren wurde er als Christoffer af Bayern bzw. Kristofer av Bayern König von Dänemark und Schweden und dann gar noch Norwegen.
Für Neumarkt wiederum das natürlich doof, da damit der Residenz-Status, von dem die Einwohner ganz gut profitierten, verloren zu gehen drohte. Allerdings gelangte die Herrschaft im Rahmen komplizierter Vererbungen an die Grafen von Pfalz-Mosbach. Und aus ähnlichen Gründen, aus denen jener Christoph nach Norden gezogen war, zogen wiederum die Grafen von Pfalz-Mosbach-Neumarkt aus ihrer Ortschaft im Odenwald nach Neumarkt: weil das neu dazu gewonnene Herrschaftsgebiet und dessen Hauptstadt jeweils größer und repräsentativer waren als die bisherigen. In Neumarkt in der Kirche neben dem Schloss steht eindrucksvoll der braune Marmorsarg Ottos II. von Mosbach-Neumarkt, der allerdings schon einer der letzten Residenten war. Nach seinem Tod gelangte das Gebiet wieder an die Kurpfälzer. Friedrich II., der den schönen und unter Herrschern raren Beinamen „der Weise“ trug, residierte eine Zeitlang als Pfälzer Statthalter in Neumarkt, bis er Kurfürst wurde und vor allem nach Heidelberg zog. In seiner Zeit entstanden, nachdem ein Stadtbrand das vorherige Neumarkter Schloss zerstört hatte, dieses und die Bauten drumherum neu. Nach seinem Tod war seine Witwe, die zwar den klangvollen Namen Dorothea von Dänemark und Norwegen trug, jedoch lediglich Neumarkt beherrschte, die allerletzte Regentin.
Sie verkomplizierte die in der und um die Pfalz herum seinerzeit ohnehin besonders irrsinigen Religions-Streitigkeiten, indem sie zu ihren Lebzeiten dort die Einführung entweder der Reformation oder des Calvinismus (da widersprechen sich die heute in Neumarkt und im Internet erhältlichen Beschreibungen) verhinderte. Es war wohl die calvinistische Wendung, ist natürlich aber vor allem längst gleichgültig, zumal im Dreißigjährigen Krieg die sowieso katholischen Bayern Neumarkt in Besitz nahmen und die Gegenreformation starteten.
Das Stadtmuseum, das diese komplexe Geschichte bemerkenswert gut darstellt, springt dann rasch ins 19. Jahrhundert, in dem dank der Eisenbahn und des ersten Main-Donau-Kanals die Industrialisierung auch in periphere Regionen kam. Stolz sind sie in Neumarkt auf die Velozipedfabrik der jüdischen Fabrikanten Joseph und Adolf Goldschmidt, die zeitweise die älteste und größte Fahrradfabrik des Kontinents oder zumindest eine der ältesten und größten war. Nach dem Tod Joseph Goldschmidts 1897 in die „Express-Fahrradwerke Aktiengesellschaft“ umgewandelt, stellte sie noch bis in die 1950er Jahre viele Gefährte, auch Motorräder, her. Eine „Spiegel“-Titelseite über den Niedergang der Fahrradindustrie ist das letzte Exponat dieser Museums-Abteilung.
Es gibt aber eine Menge spektakulärere Exponate. Schon 1912 hatte diese Express AG dem bayerischen Armeeministerium den Vorschlag eines „zusammenklappbaren Militär-Rades“ bzw. „Armee-Klapprads“ unterbreitet, das dann sogar die preußische Armee bestellt haben soll. Selbst zur Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs wurden noch solche solche Räder gebaut. Ein „Militär-Klapprad mit Schiebmuffen mit exzentrischem Schnellverschluß“ von 1941 zählt zu den Attraktionen des Stadtmuseums.
Im weiteren Kriegsverlauf wurde auch die Fahrradfabrik auf tödlichere Rüstungsgüter umgestellt. Der Rüstungsproduktion wegen, sowie weil sich in Neumarkt „etwa 20 bis 30 Mann der 17. Panzergrenadierdivision ‚Götz von Berlichingen‘ verschanzt“ hatten, ist die Stadt in den letzten Kriegswochen dann so weitgehend zerstört worden.
Der offenbar nicht überstürzt betriebene Wiederaufbau ist aber gut gelungen. Das zeigen gerade auch einige sichtlich moderne Bauten wie etwa das Lothar-Fischer-Museum. So wie die Statuen dieses Bildhauers um das Museum herum im ehemaligen Schlosspark stehen, passt auch das gut sogar zu bedecktem Himmel.