Bad Dürkheim liegt direkt am sympathischen Mittelgebirge Pfalz und hat zwei attraktive Superlative zu bieten: erstens das (nach eigenen Angaben) größte Weinfest der Welt,
das den etwas irreführenden Namen „Dürkheimer Wurstmarkt“ trägt und in diesem Jahr 600 Jahre alt wird. Insofern könnte es auch noch das weltälteste Weinfest sein. Zweitens steht oder eher: liegt dort, wo immer im September wieder der Wurstmarkt steigen wird, das größte Weinfass der Welt.
Das „Dürkheimer Riesenfass“ enthielt allerdings niemals die 1,7 Millionen Liter Wein, die rein rechnerisch hineinpassen sollen, und war dazu auch nicht gedacht, sondern immer als das Restaurant, als das es auch heute dient. Werktags in der Nebensaison ist das Fass selbst nicht geöffnet, sondern nur das nebendran gebaute Restaurant „Bütt“, das innen wohl ziemlich ähnlich aussieht (und selbst an Werktagsabenden der Nebensaison ganz gut frequentiert ist).
Während das Wein-Wurstfest also dem Mittelalter entstammt, wurde das Weinfass in einer völlig anderen Epoche gezimmert. Aus mehr als 200 Kubikmetern Holz errichtete es der Winzer und Küfer Fritz Keller im Jahr, bevor die Deutsche Weinstraße „als touristische Attraktion aus der Taufe gehoben“ wurde: 1934.
Die Deutsche Weinstraße war, sozusagen wie die Autobahn, eine der Ideen, mit denen die Nazis in ihren frühen Regierungsjahren die Wirtschaft angekurbelt und zu ihrer Beliebtheit bei der Mehrheit der nicht eingesperrten Bevölkerung beigetragen hatten. Anders als die Autobahn war die Weinstraße zwischen dem eigens dafür errichteten Deutschen Weintor in Schweigen-Rechtenbach an der damaligen wie heutigen deutsch-französischen Grenze und Bockenheim (nicht der Frankfurter Stadtteil, sondern im Landkreis Bad Dürkheim) wohl sogar eine Original-Idee der Nazis, um die schlechte Lage der Pfälzer Winzer zu verbessern. Verwirklicht wurde sie vom lokalen Gauleiter Josef Bürckel, der später bei der Deportation der Juden eine Vorreiterrolle einnahm und 1944 in Bad Dürkheim eines natürlichen Todes starb. Wirtschaftlich schlecht war es den Pfälzer Winzer übrigens auch deshalb gegangen, weil viele jüdische Weinhändler schon in der frühen Nazizeit ausgegrenzt worden waren … Was natürlich nicht gegen die Weinstraße der Gegenwart spricht.
Ein Grund, aus dem ihr Name sich schnell einprägte und weiterhin überregional geläufig ist, bestand darin, dass Städte sie als Beinamen annahmen. Dürkheims größere Nachbarstadt Neustadt etwa heißt seit 1936 (mit einer kurzen Unterbrechung nach 1945) „an der Weinstraße“ statt „an der Haardt“, und das Kfz-Kennzeichen des Landkreises Bad Dürkheim lautet ebenfalls der Weinstraße wegen „DÜW“.
Das Weinfass steht wie gesagt nicht aufrecht, sondern liegt quer neben dem Parkplatz, der gut der größte Wein- und Wurstfestparkplatz der Welt sein könnte, und ist vom kleinen Weinberg unmittelbar nebenan gut zu erkennen. Bad Dürkheims Silhouette dominieren allerdings eher Kirchtürme, besonders der neogotische der Schlosskirche, die ursprünglich nicht so hieß (sondern St. Johannis), weil im 13. Jahrhundert überhaupt kein Schloss nebenan gestanden hatte.
Inzwischen heißt sie immer noch so, obwohl das später daneben gebaute Schloss schon lange wieder weg ist. In den den 1720er Jahren hatten es sich die Grafen von Leiningen bzw. (denn die Grafschaft Leiningen war zwar klein, aber dennoch meist in mehrere Linien geteilt): von Leiningen-Dagsburg-Hardenburg als Residenz erbauen lassen. Dort residierten und herrschten sie, bis 1794 die französischen Revolutionsarmeen kamen und das Schloss zerstörten, woraufhin die Leininger, die im spätfeudalistischen Heiligen Römischen Reich kurz zuvor noch zu Fürsten befördert worden waren, nach Amorbach im Odenwald verpflanzt wurden… Inzwischen steht an der Stelle, an der das Schloss stand, die klassizistische Bad Dürkheimer Spielbank.
Diese Revolutionsarmeen hatten vor allem im linksrheinischen Deutschland, das sie kurz darauf für Frankreich annektierten, aus antifeudalistischen, dezidiert demokratischen Gründen die meisten Schlösser sehr gründlich zerstört. Allerdings hatten im Jahrhundert davor französische Armeen in derselben Region auch schon viele Burgen, Schlösser sowie komplette Städte aus dezidiert feudalistischen Gründen, das heißt im Namen des sogenannten Sonnenkönigs, zerstört. Zur ehemaligen deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ hatte das vermutlich, wie sich vor allem am Namen Mélac zeigt, mehr beigetragen als zur Beliebtheit der Demokratie.
Inzwischen ist diese Erbfeindschaft zum Glück vergessen. Gerade in der Pfalz wird deutsch-französische Nachbar- und Freundschaft zelebriert. Und gerade die Pfalz besitzt aus dieser Epoche den Vorzug, dass auf ihren nicht sehr hohen und oft Bergzüge bildenden, also wanderfreundlichen Bergen im Wald häufig auratische, besichtigbare Ruinen stehen. Gleich bei Bad Dürkheim in der Haardt – denn der Westen des Pfalzgebirges heißt weiterhin so – steht hoch auf einem Berg das schon von weitem sichtbare und eher burgartig wirkende Kloster Limburg (das erstmals im Bauernkrieg des 16. Jahrhundert zerstört wurde). Etwas tiefer die noch größere Hardenburg, die zunächst die Residenz der lokalen Leininger Grafen bildete und dann von beiden genannten französischen Armeen zerstört wurde.
Insofern bietet die Gegend für Menschen, die sich auf weltgrößten Wein- und Wurstfesten nicht unbedingt tummeln wollen, auch etwas.
Was man sonst noch wissen wollen könnte
Was man sonst noch über Bad Dürkheim wissen wollen könnte, ist auch eine Menge. Beispielsweise herrscht an Bezügen zur Römerzeit ebensowenig Mangel wie an solchen zu frühdemokratischen deutschen Traditionen. Schließlich liegt das Hambacher Schloss, an dem 1832 das heute identitätsstiftende Fest gefeiert wurde, ebenfalls nahe der Weinstraße. Einer der damals beteiligten Dürkheimer war der „rote Fitz“, ein Winzer, dessen Nachfahren weiter Wein produzieren, vor allem weißen, der u.v.a. im Riesenfass ausgeschenkt wird.