Wer im Rathaus von Pinneberg, das beiläufig in ein gewaltiges Einkaufszentrum integriert ist, nach der Touristeninformation fragt, ahnt die Antwort eigentlich schon. Und erntet dann auch ein schnörkelloses „So viele Touristen kommen nicht zu uns“. Die Stadt in Schleswig-Holstein zählt zu den sehr wenigen in Deutschland, die sich eine Touristeninfo sparen. Gewiss hat die Pförtnerin recht. Sehenswürdigkeiten jenseits vielleicht des Rosengartens, zumindest wenn man Rosenfreund und es Sommer wäre, gibt es in Pinneberg eher nicht.
Als Freilichtmuseum eignet sich die 40.000-Einwohner-Stadt aber dennoch: als eines der Nachkriegsbauten. Nach Bauwerken, die älter als ein Dreivierteljahrhundert sein könnten, muss man lange suchen. Das erstaunt umso mehr, nachdem man sich im schönen Stadtmuseum davon überzeugt hat, dass Pinneberg zu den ebenfalls wenigen deutschen Städten gehört, die im Zweiten Weltkrieg so gut wie gar nicht zerstört worden waren. Abgerissen wurde bloß zugunsten von Nachkriegs-Neubauten.
Immerhin zwei sichtlich ältere Bauten stehen prominent in der Ortsmitte: die backstein-barocke Drostei als das mit Abstand älteste Gebäude der Stadt (das sich dank des Drosteiparks dahinter auch mit Abstand angucken lässt), und daneben das Amtsgericht aus dem 19. Jahrhundert, das heute das erwähnte Museum enthält. Sonst dominieren Hochhausbauten, Fußgängerzonen-Belebungs-Konzepte unterschiedlicher Epochen, imposante neue und patinierte ältere Parkhäuser und große Fabrikgelände, auf denen bis vor mehr oder weniger Jahrzehnten noch produziert wurde und aktuell noch ein wenig Teilnutzung herrscht. Zum Beispiel das der ILO-Werke (die noch bis 1990 Mopedmotoren herstellten) und das der alten Wupperman-Emaille-Fabrik.
Natürlich ist es leicht, sich über den Nachkriegs-Neubauwahn zu mokieren. Ihre Gründe hatten die Menschen damals auch. Die wichtigste Weltkriegsfolge für Pinneberg bestand darin, dass Abertausende Einwohner der nahen Großstadt Hamburg, die die Alliierten im Rahmen ihrer „Operation Gomorrha“ erfolgreich ziemlich weitgehend aus der Luft zerstörten, in die nahe Kleinstadt kamen. Nach dem Krieg verdoppelte sich die Einwohnerzahl der Kleinstadt von 13.000 (im Jahr 1938) auf 25.000 nahezu.
Das heißt, außer zu den 1945 unzerstörtesten deutschen Städten dürfte Pinneberg anschließend auch zu denen gehört haben, deren Bevölkerung durch Flüchtlinge und Vertriebene proportional am allerstärksten anstieg.
„Die ersten 150 zusätzlichen Wohnungen wurden 1948 nach einem von der Pinneberger Firma Oelting entwickelten Verfahren in Schüttbauweise unter Verwendung von Trümmerschutt aus Hamburg gebaut. In den folgenden 50 Jahren entstanden immer neue Stadtteile durch den Bau moderner Wohnsiedlungen“,
informiert das Citymanagement Pinneberg. Solche ehemaligen Modernen zuzurechnenden Siedlungen kann man sich überall in Pinneberg sogar angenehm anschauen, weil – weniger typisch für die Nachkriegszeit – zwischendrin relativ viel Grün erhalten blieb.
Außer dem Rosengarten zählt etwa der Stadtwald Fahlt gleich neben dem Bahnhof (von dem außer Regionalzügen auch regelmäßig S-Bahnen nach Hamburg fahren) dazu. Zusammen hängt das wiederum mit einer auch schon ein paar Jahrhunderte währenden Baumschulen-Tradition, derentwegen der Kreis Pinneberg sich als „eines der größten geschlossenen Baumschulgebiete Europas und der Welt“ betrachtet. Und fragilere Pflanzen wie Rosen schließt diese Tradition auch ein.
Das ehemalige Pinneberger Schloss verdient auch einen unsichtbaren Superlativ: Es gehört zu den am restlosesten verschwundenen deutschen Schlössern der nicht einmal ganz frühen Neuzeit. An es erinnert im Stadtbild rein gar nichts, nicht einmal eine Texttafel oder Plakette. Bloß im Stadtmuseum zeigt eine Schublade, wo zwischen dem Flüsschen Mühlenau und der heutigen Bahnstrecke in Richtung Kiel es stand. Heute befinden sich dort ein weiteres in die Jahre gekommenes Gewerbegelände und in der Nähe einer von Pinnebergs stattlich-repräsentativsten Bauten, ein gewaltiges Altenheim.
Das Verschwinden des Schlosses hat aber nichts mit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu tun. Vielmehr entstand die Ortschaft Pinneberg erst, als das gleichnamige Schloss seine Funktion verlor und in internationalen Kriegen des 17. Jahrhunderts so weit zerstört wurde, dass es schließlich anno 1720 abgerissen wurde, um die noch übrigen Steinen in der damals steinarmen Zeit zum Bau von Häusern und Straßen zu verwenden.
Wer im Schloss residiert hatte, waren die Grafen von Schaumburg-Holstein-Pinneberg. Dieses Schaumburg-Holstein war im hohen Mittelalter ein größeres Territorium, weshalb ein Schauen-/ Schaumburger als steinerne Statue noch ziemlich zentral in Hamburg steht (dessen Neustadt er gründete). Später schrumpfte Schaumburg-Holsteins Territorium jedoch auf die Gegend rund ums Pinneberger Schloss (aber inklusive des Fleckchens an der Elbe, auf dem noch zu Schaumburger Zeiten das heutige Hamburg-Altona entstand). Der Namensbestandteil „Schaumburg“ steht dabei wirklich für die Region, die noch heute so heißt: Schaumburg-Lippe. Das heißt, diese Grafen dürften, zumindest manchmal, von Bückeburg im mittleren Niedersachsen in ihr Holstein sozusagen gependelt sein – ein weiteres Beispiel für den krassen Föderalismus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Sogar die Universität, die die Schaumburger in den 1620er Jahren im 170 Kilometer Luftlinie entfernten Rinteln gründeten (und die 1809 aufgelöst wurde), hieß zunächst „Academia Holsato-Schaumburgica“.
Nachdem 1640 der junge Graf Otto V. als letzter Schaumburger in Hildesheim starb bzw., wie es der dänische König Christian IV. (laut einer Texttafel im Stadtmuseum) formulierte: vom schwedischen Feldmarschall Johan Banér „totgesoffen“ wurde (oder, wie anderswo vermutet wird: vergiftet …), teilten sich eines der verschachtelten Schleswig-Holsteiner Fürstentümchen und eben der dänische König, der es deswegen locker sah, die Region auf. Pinneberg gelangte ans damals bereits dänische übrige Holstein. Das Schloss wurde vor allem 1658 zerstört – genau zehn Jahre nach dem eigentlich, bloß nicht um Pinneberg herum epochalen Westfälischen Frieden, in einem weiteren Krieg zwischen den in Norddeutschland einflussreichen, jeweils evangelischen Großmächten Dänemark und Schweden.
Die sich ab dann langsam entwickelnde Ortschaft erhielt erst 1875 Stadtrechte. Richtig alt war die nach dem Zweiten Weltkrieg verschwundene Pinneberger Altstadt also ohnehin nicht gewesen. Auf Metaebenen interessant ist sie aber.
„deren Bevölkerung durch Flüchtlinge und Vertriebene proportional am allerstärksten anstieg“: Das wird in Pinneberg weiterhin so gehandhabt, indem moslemischen Flüchtlingen schon die Vielehe, mit um so mehr Kindern, gestattet wird, die anderswo in der BRD noch verboten ist. Siehe: https://www.welt.de/vermischtes/article173743693/Vielehe-in-Pinneberg-Syrischer-Fluechtling-ueber-sein-Leben-mit-zwei-Ehefrauen.html Das hätten Sie auch noch schreiben können, nicht wahr?
Na ja, den Anspruch, abzudecken, was in all den Orten in der Gegenwart geschieht, hab ich hier nicht. „Kulturhistorisch orientiert“/ „restlos weg vom Tagesgeschehen“ laute(te)n ja die Blog-Untertitel. Wobei die von Ihnen angesprochene Sache wirklich sehr abstrus scheint.