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Mosaiksteinchen (6): Tettnang … und der Staatsbankrott

„Drei Schlösser auf 300 Metern“, heißt es in Werbebroschüren über Tettnang im schwäbischen Baden-Württemberg. Das klingt selbst für die Kleinststaaten-Landschaft im alten deutschen Reich spektakulär, in der das raumgreifende Repräsentations- und Prunk-Bedürfnis regierender Adelssippen häufig nicht nur mit dem Problem kollidierte, dass ihre wenigen Untertanen wenig Steuereinnahmen für große Bauten erwirtschafteten. Sondern auch mit dem, dass ihre Staaten wenig Platz boten und bei jeder weiteren Erbteilung noch kleiner wurden.

Tettnang, Altes Schloss
Das (inzwischen) Alte Schloss …

Tatsächlich bietet Tettnang mit dem barocken Neuen aus dem 18. Jahrhundert und dem im 17. noch im Renaissance-Stil erbauten Alten Schloss zwei einander unmittelbar gegenüber gelegene Schlösser. Ein paar hundert Meter entfernt, am anderen Ende des Ortskerns komplettiert das Torschloss, in dem die Grafen bis zum Bau des damals neuen (heute also „Alten“) Schlosses gehaust hatten, dann das Trio.

Tettnang, das (noch ältere) Torschloss am anderen Ende des Städtchens
Das (ältere) Torschloss

Das Neue Schloss, aus dessen höheren Geschossen man den Bodensee sehen oder erahnen kann, ist durchaus eine Augenweide, insbesondere beim Blick zurück, wenn man Richtung Bodensee wandert. Dabei durchquert man übrigens gewaltige Hopfen-Anbau-Gebiete.

Nun wieder das Neue …

Der Gegenwart hat die Reichsgrafschaft Montfort-Tettnang aber noch mehr hinterlassen als drei Schlösser in ihrem Hauptstädtchen. Verschwunden ist der Kleinststaat nämlich nicht erst in der Napoleonszeit Anfang des 19. Jahrhunderts, als ganz besonders im heutigen deutschen Südwesten die kunterbunte Landkarte bereinigt wurde, indem zahllose Fürstentümchen, Reichsstädte und Abteien nach Baden und Württemberg eingemeindet wurden, sondern schon ein Vierteljahrhundert davor – aus einem seltenen Anlass.

Die Grafen von Montfort waren wie die meisten Regenten vom Bauwurm(b) oder „Baulöwentum“ befallen. Sie bauten also, was das Zeug hielt. Wobei es in ihrem Fall nicht gut hielt. Das erst in den 1720er Jahren halbwegs vollendete Neue Schloss (dessen Bau streng genommen weniger abgeschlossen war, als dass fürs Weiterbauen Geld fehlte, weswegen Graf Anton III. die Regierungsgewalt an seinen Sohn übergab) brannte 1753 weitgehend ab. Für den durchaus nachhaltigen, also die erhaltene Bausubstanz einbeziehenden Neubau lieh der neue Graf Ernst 1755 „500.000 Gulden und setzte die Grafschaft als Sicherheit ein“ (schloss-tettnang.de). Manche Bücher erwähnen, dass der Geldgeber, Österreich, nur 400.000 Gulden auszahlte. Schon zuvor war die Grafschaft verschuldet gewesen.

Wohl deshalb blieben im Schlossinneren einige ornamentale Wandflächen, die Bilder hätten enthalten sollen, leer. Andere erhaltene Innenausstattung bewegte sich auf der Höhe ihrer Zeit. Stuck von Joseph Anton Feuchtmayer und Gemälde von Angelika Kauffmann, die zeitweise im Schloss lebte, können auch aus gegenwärtiger Perspektive als sehenswert gelten.

Inhaltlich Aufmerksamkeit verdient außerdem das ungewöhnliche „Vagantenkabinett“. Die Gemälde darin zeigen keine antiken Sagen-Helden oder Fürsten unter Perückenbergen, sondern „sogenannte Vaganten: Spielleute, Schausteller, Händler, Handwerker, die die Plätze und Straßen der Städte bevölkerten“, also echt arm waren und den Reichsgrafen sozusagen als Mahnung dienten, dass auch Wohlstand vergänglich sein kann.

Auch weil es auch im 18. Jahrhundert seinen Preis hatte, bekannte Künstler zu beauftragen, mangelte es den Bauherren also weiterhin an Geld. Ihrem Plan, einen kleineren Teil ihres kleinen Territoriums zu verkaufen, die direkt am Bodensee gelegene Ortschaft Langenargen, hatte zwar das Kurfürstentum Bayern Interesse entgegengebracht. Doch die österreichischen Kreditgeber widersprachen. Sei es, dass sich der letzte Graf Franz Xaver (Wikipedia) schließlich für zahlungsunfähig erklärte, sei es, dass, „als die Schulden auf 1.115.000 Gulden stiegen, … Österreich das Konkursverfahren“ eröffnete, jedenfalls ging Montfort-Tettnang staatsbankrott. Österreich übernahm den Kleinststaat. Und vergrößerte damit sein Gebiet rund um Bodensee, das es besaß, seitdem es im 16. Jahrhundert anderen Montforter-Linien die auch heute noch österreichischen Städte Bregenz und Feldkirch abgekauft hatte.

Der mit gut fünfzig Arbeitskräften gar nicht riesengroße Hofstaat der Montforter soll sich zunächst gefreut haben, weil er (freilich bei freier Kost und Logis am feierfreudigen Hof) angeblich Gehaltsrückstände bis zu zwanzig Jahre hatte in Kauf nehmen müssen. Allerdings freute er sich wohl nicht sehr lange, da es den Österreichern um Geopolitik ging, vor allem um eine Landverbindung zwischen ihrem Kernland und den nicht wenigen Besitztümern im heutigen Baden-Württemberg wie zum Beispiel Freiburg. Daran, alte Schulden eines nunmehr endgültig aufgelösten Hofes zu begleichen, dachten sie eher nicht.

Österreich selbst hatte auch nicht sehr lange Freude an Tettnang. Bei der oben erwähnten Bereinigung der ganzen Landkarte des heutigen deutschen Südwestens um 1805 gingen auch sämtliche österreichisch-habsburgischen Besitztümer nördlich des Bodensees an Baden, Württemberg und Bayern.

***

Parallelen zur Gegenwart lassen sich selbstverständlich nicht ziehen. In Montfort-Tettnang gab es keine Schuldenbremse, und im alten „Heiligen Römischen Reich“ keine Gewaltenteilung. Oder zumindest keine, die gut funktionierte: Beim nominellen Staatsoberhaupt handelte es sich um den Kaiser in Wien, der als österreichischer Erzherzog auch oder vor allem Interessen seiner unmittelbar regierten Staaten verfolgte. Und den fortbestehenden Plan der aktuellen deutschen Regierung, das „mit einer Bruttogeschossfläche von über 64.000 Quadratmetern … größte Regierungsgebäude der Welt“ („FAZ“ 2020), das vermutlich von keinem Zeitgenossen irgendwie schön gefundene Bundeskanzleramt in Berlin, für horrende Summen noch weiter auszubauen, kann man aus mehreren Gründen für falsch halten. In den Staatsbankrott wird er das gegenwärtige Deutschland kaum treiben. Bloß blieben vom sehr ehemaligen Kleinststaat Montfort-Tettnang heute schön anzuschauende Symbole dafür, dass es sinnvoll ist, auf Dauer nicht mehr Geld auszugeben als man einnimmt.

[Ich war 2020 in Tettnang; damals entstanden die Fotos.]

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