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Auch Untergang kann Ruhm bringen (Göttingen)

goettingen-robert-koch-tafelIn vielen Universitätsstädten sind Gedenktafeln an Häusern angebracht, in denen einmal Persönlichkeiten gewohnt hatten, die später berühmt geworden sind (oder waren). Im Zentrum nicht besonders großer, aber alter Universitätsstädte wie Göttingen begegnet man ähnlich vielen Häusern mit solchen Marmortafeln wie Häusern ohne welche. Sie sind meist über den Schaufenstern und über dem Erdgeschoss angebracht, so dass sie Hinweisen auf aktuell dort praktizierende Ärzte oder Anwälte nicht in die Quere kommen. Wer danach sucht, muss den Blick nach oben richten.

goettingen-vier-tafeln-an-einem-hausWenn das Prinzip weiter funktionieren und im Idealfall also manchmal dazu anregen soll, nachzugucken, was genau es mit den Persönlichkeiten auf sich hat, muss es natürlich geänderten Prominenzbegriffen angepasst werden. Wie endlich Berühmtheit ist, wissen dank „Deutschland sucht den Superstar“ inzwischen alle. Und dass Mathematiker und Mineralogen des vorvorigen Jahrhunderts inzwischen relativ vergessen sind, ist kein Wunder.

Vermutlich aus solchen Gründen ist in der Haupstraße der Göttinger Fußgängerzone auch eine Gedenktafel an einen US-amerikanischen Studenten angebracht worden, der ebenfalls tief im vorvorigen Jahrhundert dort gewohnt hatte, dessen globale Berühmtheit aber gut erhalten  ist. Allerdings wurde er nicht als Wissenschaftler, sondern als Bankier prominent, und die Tafel kümmert sich darum überhaupt nicht (obwohl seine New Yorker Bank bzw. eine Bank seines Namens durchaus noch existiert und geradezu als Inbegriff für alles, was Menschen mit Banken so assoziieren, überwiegend nichts Gutes, gelten könnte.)

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Vielmehr weist die Tafel am Haus Weender Straße 63 allein auf John Pierpont Morgans Eigenschaft als Eigentümer eines im 21. Jahrhundert noch immer sprichwörtlichen Schiffs hin. Sie ist größer als die übrigen Tafeln und auch nicht oberhalb des Erdgeschosses angebracht, sondern auf Shopper-Augenhöhe zwischen zwei Schaufenstern. Vielleicht lässt sie den Sonderangeboten des Schuh-Händlers ein wenig Aura zukommen, der derzeit im Haus ansässig ist, in dem einst der spätere Eigentümer der „Titanic“ gewohnt hatte.

Sozusagen um die Ecke liegt ein frisch umbenannter Platz, der an den in Göttingen aufgewachsenen Mitbegründer einer national bekannten Satirezeitschrift aus Frankfurt am Main erinnert, die sich in 1970ern vermutlich wegen ihrer Sprichwörtlichkeit nach der Titanic benannt hat. Damit hat die J.P.Morgan-Gedenktafel erst mal rein gar nichts zu tun. Aber ein schönes Beispiel dafür, wie inzwischen alles oft nur um wenige Ecken herum miteinander zusammenhängt, mag der Robert-Gernhardt-Platz sein.

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Das für den diesen Platz vorgesehene, bereits vorab überregional bekannt gewordene Kragenbär-Denkmal steht übrigens noch nicht dort. Spätestens, wenn es so weit ist, wird Göttingen – dessen Bahnhofsvorplatz seit gut einem Jahr ein ebenfalls umstrittenes, nicht lustiges Denkmal ziert, das aber immerhin zum Nachdenken anregt und damit eine ursprüngliche Denkmäler-Aufgabe erfüllt – die Stadt der steilsten deutschen Gegenwarts-Denkmäler sein.

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3 Kommentare

  1. A propos lustig: ein „steiles“ beziehungsweise flaches Heinz Erhardt-Denkmal hat es in Göttingen auch noch. Das steht an der Kreuzung Weender Str. – Berliner Str. ziemlich nah vom Gernhardt-Platz

  2. Interessante Geschichte, die aber noch VIEL weiter gedreht werden könnte: Die J.P. Morgan-Bank wäre in der so genannten Finanzkrise genau so untergegangen wie die „Titanic“, aber weil sie für „too big to fail“ erklärt wurde (was der Käptn und Morgan selbst von ihrem Schiff ja auch dachten) ging sie’s nicht… Stichwort: Systemrelevanz.

    1. Stimmt wahrscheinlich. Dass es sich beim vermeintlichen Reeder sozusagen um den Gründer der immer noch nach ihm heißenden Großbank handelt, hatte ich erst gar nicht gedacht … Aber hier will ich nun lieber Geschichten nicht (mehr) so weit drehen, sondern eher übersichtlich halten, dafür öfter welche bringen.
      Und @Der Heinz: Guter Hinweis, danke!

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