Berlin, diese vibrierende Metropole, ist so kosmopolitisch, dass jeder die Überschrift natürlich englisch verstehen und für den Titel eines neuen Gangstarapper-Albums halten würde. Oder hat David Bowie sich Bösebrücke („20.000 people cross Bosebrücke/ Fingers are crossed, just in case“) wörtlich übersetzen lassen?
Es hätte aber nicht viel gefehlt, und die Überschrift hätte sich deutsch verstehen lassen können – also so, dass Berlin etwas ist wie Bad Pyrmont oder (um als Beispiel einen Badeort zu nehmen, der erst entstand, weil ein preußischer Berghauptmann eine Heilquelle entdeckt hatte …) Bad Oeynhausen.
Allerdings wurde das entsprechende Bad beim auch im 19. Jahrhundert schon rasanten Berliner Metropolenausbau mehr oder minder versehentlich verschüttet. Einiges erinnert noch daran: zum Beispiel die Brunnenstraße in Berlin-Mitte, die Badstraße im Gangstarapper-affinen Stadtteil Wedding und der paradoxe Name eines die Gemüter spaltenden ICE-Bahnhofs.
Ob der Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen eher schlimm ist, weil es zu den langen Gleisen eigentlich gar keinen Bahnhof gibt, oder im Gegenteil gar nicht übel, weil damit auch die Shoppinghölle fehlt, zu der die Deutsche Bahn die meisten ihrer Bahnhöfe degeneriert – darüber ließ sich in den letzten Jahren streiten. Zurzeit wird allerdings ein Bahnhofsgebäude gebaut (zwischen zwei gewaltigen Shoppingcentern, die sowieso nebenan stehen).
Paradox mutet der Name jedenfalls an: Brunnen fallen im Weddinger Ortsteil Gesundbrunnen nun wirklich nicht auf, und dass die Gegend besonders gesund sei, würde erst recht niemand behaupten.
Die gesunde Heilquelle und das Bad befanden sich „auf dem Gebiet des Hinterhofs der heutigen Badstraße 38/39“ (Wikipedia), noch genauer: im Keller oder unter dem Parkplatz eines Fastfoodladens. Das war mir letztes Jahr bei einer ausfahrtwedding.de-Tour gesagt worden.
Erkannt worden sein soll das mineralhaltige Wasser vom ersten preußischen König Friedrich I., als er müde von der Jagd kam und von einer Müllerin einen Schluck gereicht erhielt. So erzählten es zumindest frühe, geschäftstüchtige Überlieferungen (panke-guide.de). Der Hofapotheker des zweiten Friedrich richtete in den 1750er Jahren dann ein Ensemble mit Trink- und Wandelhalle, Badeanstalt sowie Gastronomie für Kurgäste ein und besorgte sich das Recht, das Ganze „Friedrichs-Gesundbrunnen“ zu nennen. Der Name wurde ein halbes Jahrhundert später aktualisiert:
„Mit dem Besuch der Königin Luise 1809 wurde ihr zu Ehren die Kuranlage in Luisenbad umbenannt. Zu der feierlich enthüllten Büste dichte Friedrich Wilhelm Gubitz: ‚Es hauchen die Stimmen vom Paradiese, Luise, es flüstert die Quelle der Wiese, Luise.‘ Diese Bezeichnung setzte sich aber nicht durch, der Name ‚Plumpe‘ (Brunnen und Pumpe) klang unter den Berlinern einfach besser, die für viele Bauten in Berlin einen passenderen Namen finden“,
berichtet panke-guide.de. Vielleicht lag’s am Namen, dass die große Zeit des Bades (das später auch noch, nun ohne Royals-Bezug, den Namen „Marienbad“ trug), dennoch bereits vorbei war. Vielleicht lag’s auch daran, dass die Königin der Herzen bekanntlich bereits 1810, sehr jung, starb. Als letzter Rest des Original-Gesundbrunnens wurde das Luisenbad-Gebäude 1892 abgerissen. Der Name besteht immerhin noch. Er bezeichnet einen jugendstiligen Bau, in dem heute eine Stadtbibliotheksfiliale untergebracht ist.
Die Quelle selbst sei schon „1882 beim Bau der Kanalisation der Badstraße versehentlich zugeschüttet“ worden, weiß die Wikipedia. Zu dem Zeitpunkt, in der sogenannten Gründerzeit, war der Bau des Stadtteils mit Fabriken und Berliner Mietskasernen auf dem vormals flachen, grünen Land bereits weit fortgeschritten. „An der Badstraße entstanden im Laufe der Zeit viele Biergärten und Ausflugslokale. In dieser Zeit hielten auch das Glücksspiel und die Prostitution im Gesundbrunnen Einzug“ (Wikipedia). Die Glücksspiel-Tradition halten viele Cafécasinos mit blickdicht beklebten Fensterscheiben bis heute aufrecht. Die Fabriken sind inzwischen, wie meistens in Berlin, Was-mit-Kultur-Locations.
Wo diese Entwicklungen gut geschildert werden: im Mitte-Museum ebenfalls in der Nähe. Schräg gegenüber, an der lebhaft befahrenen Kreuzung Badstraße/ Pankstraße befindet sich eine der raren relativ klassischen Sehenswürdigkeiten der Gegend: die klassizistische St. Pauls-Kirche, die in den 1830er Jahren nach Plänen Karl Friedrich Schinkels errichtet wurde. Wer sich für Bauwerke nach Schinkel-Plänen interessiert, wird wissen, dass sie nicht gerade selten vorkommen.
Seit Schinkel 1830 Leiter des preußischen Staatsbauamtes geworden war, wurde „er verantwortlich für alle größeren Bauvorhaben vom Rheinland bis nach Ostpreußen, in deren Gestaltung er immer wieder eingriff“, weiß dazu der Braun-Architekturführer Berlin. Die Weddinger Kirche war eine von gleich vier sehr ähnlichen, die im Zuge des Metropolenausbaus damals gleichzeitig gebaut wurden. Ihren Turm, einen „Campanile“, bekam sie übrigens erst lange nach Schinkel in den 1890ern.
Dennoch: Ein so repräsentativer Badeort wie Bad Ems, um das es neulich hier ging, hätte Bad Berlin wohl kaum werden können. Schon wegen des Flusses: Während die Lahn in Ems etwas hermacht, fließt im Wedding eher ein Bach, die von Pankow her kommende Panke. „Stinkepanke“ sei sie wegen ansässiger Gerbereien früher genannt worden. Und auch wenn man am Luisenbad noch ahnt, dass dort einst eine repräsentative Promenade verlief oder zumindest verlaufen sollte: Der schlechte Geruch und Ruf des Gewässers haben zum Niedergang des Gesundbrunnen-Brunnens vermutlich am meisten beigetragen.
Dennoch ranken sich um die Panke, die am Schiffbauerdamm unspektakulär in die Spree fließt, viele Geschichten. „Begradigt, rückgebaut, verrohrt, trocken gelegt. Vieles ist ihr schon geschehen. Sie hat keine wirkliche Quelle, aber drei Mündungen“, reißt eine Broschüre des Freundeskreises der Chronik Pankow e.V. an.
Und immerhin, ziemlich kürzlich hat diese Panke als Ortsbezeichnung fast genau den Standort des alten Gesundbrunnens sozusagen in die globale Sportgeschichte eingeschrieben.
Dort steht der „Käfig an der Panke“ – kein absolutistisches Gefängnis für Deserteure aus friderizianischer Zeit, sondern ein Sportplatz des 21. Jahrhunderts, der bloß umzäunt wurde, damit der Fußball nicht wegfliegt oder nebenan spielende Kleinkinder trifft. Fußballfreunde wissen, dass darin zum wohl ersten Mal überhaupt zwei Brüder miteinander spielten, die später bei (inzwischen sogar zwei) Fußball-Weltmeisterschaften für gegnerische Mannschaften aufliefen. Jerome Boateng ist nun bekanntlich Weltmeister, der ehemalige Rekordjuniorennationalspieler Kevin Prince spielt nicht mehr für deutsche Mannschaften, nachdem Trainer Horst Hruebesch ihn unter noch immer diffusen Umständen aus dem U21-Team geworfen hatte, sondern für Ghana.
Weil Fußball zum Glück Kriege als Erinnerungsanlass abgelöst hat, vielleicht, weil der Wedding an klassisch Sehenswürdigem nicht ungeheuer reich ist und natürlich auch zu Werbezwecken hängt an der Kreuzung Bad-/ Pankstraße, gegenüber der Schinkel-Kirche und oberhalb eines Matratzen-Discounters, seit einigen Jahren ein großes Plakat, das die drei Brüder Boateng zeigt.
Der dritte, der ebenfalls im Käfig gekickt hat, hatte Buchautor Michael Horeni zufolge eigentlich das größte Fußball-Talent besessen, soll aber nichts draus gemacht, sondern einige Monate im Gefängnis verbracht haben … Gangsta-Assoziationen sollte man auch nicht übertreiben. Aber der Wedding ist zurzeit eben nicht der Prenzlauer Berg – mit dem ihn die eingangs erwähnte Bösebrücke verbindet (nachdem sie die beiden Stadtteile bis 1989 für einige Jahrzehnte getrennt hatte, also bis genau dort das unmittelbare Ende der DDR begann …).
Und das Böse im Brückennamen ist natürlich das Adjektiv, sondern erinnert an einen von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer.