Burgberge gibt es viele in Deutschland. Beziehungsweise liegt in vielen Regionen kaum eine Ortschaft nicht pittoresk (und aufschlussreich für die Machtverhältnisse der Entstehungszeit) zu Füßen einer Höhenburg. Keine Spur davon in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) …
Der wohl kleinste Burgberg Deutschlands ist heutzutage bloß ein Hügel „von 35 x 55 m und einer Höhe bis 5 m“. Das erfährt man in einer Vitrine im Haus für Kunst und Geschichte in der 65.000-Einwohner-Stadt bei Köln. Tatsächlich lässt sich der Hügel am Ende der Straße An der Alten Burg nur von ganz nah erkennen. Heute befindet sich darauf ein Kinderspielplatz. Von oben führt eine Rutsche hinab.
Wie das kam, hängt mit Kerpens historischem Kuriosum zusammen: Es war, bevor es auch noch so etwas wie ein Hauptstädtchen wurde, jahrhundertlang Verwaltungs-Mittelpunkt einer Exklave der spanischen Niederlande, also ungefähr des (nicht direkt um die Ecke gelegenen) heutigen Belgiens. Und die wiederum wurden, wie die bezeichnung schon sagt, vom erst recht fernen Spanien aus beherrscht. Das lässt sich dem aus dem Spanischen übersetzten Buch „Kerpen und Lommersum“ von Juan Antonio Vilar Sanchez entnehmen.
Auf 420 Seiten beschreibt der Autor die wechselhafte Geschichte des oft verpfändeten und in viiiiele Kriege (darunter die sehr heftigen Unabhängigkeitskriege der heutigen, dann nicht mehr spanischen Niederlande) verwickelten Provinz rund um Kerpen.
Was den in die Gegend verheirateten Spanier besonders interessiert: die damalige Vielsprachigkeit und das Zugehörigkeitsgefühl der Exklave zum fernen Spanien. Dabei waren dort die „elenden Dörfer“, wie der Generalgouverneur der spanischen Niederlande sie nannte, zeitweise komplett vergessen, und zumal war es das Bezahlen der dort stationierten Soldaten – was wiederum üble Folgen fürs nichtspanische Umland hatte. 1689 wurde die Burg dann in einem der Kriege weitgehend von den Franzosen zerstört. Den Rest besorgten etappenweise die Kerpener selbst, die mit Recht weniger Interesse daran hatten, in ihrem Ort eine Burg zu beherbergen, als daran, durch so ein auffälliges Bauwerk in kriegerischen Zeiten nicht immerzu die Aufmerksamkeit umher marodierender Soldaten auf sich zu ziehen.
Im 18. Jahrhundert, als die spanischen Niederlande nach dem Spanischen Erbfolgekrieg zu den österreichischen Niederlanden wurden, avancierte Kerpen zur Hauptstadt eines eigenen Territoriums, einer Reichsgrafschaft: Die Reichsgrafen von Schaesberg, einem noch heute niederländischen Ort, kauften sie sich von den weit entfernt residierenden Habsburgern.
Sie hatten diverse Besitzungen und ein neues Schloss in Kerpen am Standort der alten Burg bloß erst mal geplant. 1793 sollte schließlich Baubeginn sein. Das war allerdings das Jahr, in dem die französischen Revolutionäre ihren ehemaligen König guilloutinierten und kurz darauf alle deutschen Ländchen links des Rheins in Besitz nahmen. Insofern wurde auf dem Burgberg dann gar kein Schloss mehr gebaut
Was man sonst noch über Kerpen wissen wollen könnte
Während der heutige Hügel nicht im geringsten sehenswürdig ist, kann wohl am ehesten (falls man nicht einfach das Autobahn-nahe Gourmet-Restaurant in einem Herrenhaus-Schloss als solche nimmt) die Kirche St. Martinus als Sehenswürdigkeit betrachtet werden. Der Höhe ihres Turms wegen ist sie von weitem sichtbar. Im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört, wurde sie danach wieder aufgebaut. Und davor erinnent eine Textstele an den in Kerpen geborenen und aufgewachsenenen Gründer des katholischen Gesellenvereins, nach dem der Verein Kolpingwerk heißt und nach dem Kerpen sich offiziell Kolpingstadt nennt.
Vor der Kirche stehen ein Denkmal und eine Textstele, die Adolph Kolpings Lebenslauf (kolping.de: „Vom Schuhmacher zum Sozialreformer“) in Fließtext und in tabellarischer Form zusammenfasst. Im tabellarischen Teil wird die Benennung des Berufs, den der spätere Sozialreformer zunächst in Kerpen erlernt hatte, durch Weglassen eines stummen Konsonanten unmerklich verkürzt … Womöglich stellt das „Schumacher“ eine hintersinnige Hommage an die zumindest gegenwärtig noch global mit weitem Abstand allerbekanntesten Kerpener dar.
Wer das an zwei Autobahnen (A4 und A 61), äh, verkehrsgünstig gelegene Formel-1-Leimen besucht, versteht in der benzingeschwängerten Luft jedenfalls schnell, wie naheliegend es in Kerpen ist, Autorennfahrer zu werden.