So kritisch die gegenwärtige Öffentlichkeit gewiss ist: Das Kalkül von Herrschern längst vergangener Epochen geht im Allgemeinen auf. Wenn sie der Nachwelt Prunkbauten hinterlassen und die idealerweise nach sich selbst benannt haben, und wenn diese Bauten noch stehen, leben ihre Namen weiter. Touristen erfahren auf Führungen dieses und jenes über die Bauherren, meistens eher Positives. Wer will schon so kleinlich sein, beim Anschauen von etwas Schönem Sozialkritik an längst vergangenen Epochen zu üben, wenn die globale Gegenwart ebenfalls mehr als genug Anlässe dafür bietet. (Am Rande: Nur im Bamberger Schloss hörte ich einmal einen Führer so fast schon subversiv erläutern, wie der Erzbischof, der es errichten ließ, seinen Nachtstuhl benutzte, und dass er überhaupt so breit wie groß gewesen sei, dass dieser Bischof, falls er davon Kenntnis erlangt haben sollte, sich ziemlich geärgert hätte…)
In Brühl (Nordrhein-Westfalen) kann der von 1723 bis zu seinem Tod 1761 amtierende Kölner Kurfürst Clemens August sein Nachleben als Bauherr gleich zweier inzwischen (als Ensemble) zum Weltkulturerbe zählender Schlösser genießen. Um ein wenig aus der Broschüre „Lebendige Zeugen des Rokoko“ über die Sommerresidenz Augustusburg und das Jagdschloss Falkenlust zu zitieren: Von „glanzvoller Vergangenheit“, „herausragender“, aber auch „hinreißender Schöpfung“ ist die Rede, von einem „opulenten Gesamtkunstwerk“, von „Weltrang“ und „höchstem Rang“. Clemens August, dessen „Lieblingsresidenz“ Augustusburg war, wird außer als Bauherr auch als „leidenschaftlicher Falkenjäger“ vorgestellt, dessen Kabinette im Schloss Falkenlust „bereits 1763 der junge Mozart bewunderte“ (und andere Faltblätter integrieren auch noch die historische Celebrity Giacomo Casanova …).
Auf einer Schlossführung kann man sich an Balthasar Neumanns Prunktreppenhaus oder heftigstem, züngelndem Rokoko erfreuen. Oder en passant über das Gebaren der Zeitgenossen des Kurfürsten staunen, die offenbar gern auf Emporen im Speisesaal dem Fürst beim Speisen zusahen und sich freuten, wie nahe sie der Macht gekommen waren.
Zum Diskurs gehören außerdem die wirklich interessanten Infos, dass dieser Clemens August ein Wittelsbacher war (also zu der bayerischen Dynastie gehörte, der im folgenden Jahrhundert der heute als größter deutscher Schlösser-Bauherr bekannte Ludwig II. entstammte) und zwischen Regensburg und Hildesheim so viele Bischofstitel und damit weltliche Macht über Länder sammelte wie niemals sonst jemand im Heiligen Römischen Reich.
Neben dem Lustschlösser-Ensemble mit riesigem, schönen Garten drumrum besitzt Brühl jedoch einen auf seine Weise ähnlich eindrucksvollen Kontrapunkt. Dort wird derselbe Clemens August als „manischer Jäger, Spieler und Baulöwe“ bezeichnet („Je verschwenderischer“ er „das Volksvermögen verschleuderte, desto gnadenloser wurde er von Langeweile und Depression geplagt“).
Das Museum für Alltagsgeschichte im ehemaligen Wohnhaus eines kurfürstlichen Weinhändlers ist prallvoll gefüllt mit Alltags-Gegenständen, Industrieprodukten und Kunst aus unterschiedlichen Jahrhunderten, sowie mit Texten: von Georg Büchners „Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag“ und, klar, Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ bis hin zu Auszügen aus Clemens Augusts Park- und Gartenordnung aus dem Jahre 1752.
Derzufolge war Kindern, Studenten, Soldaten, Handwerkern, Ackerwerkern und Tagelöhnern der Eintritt grundsätzlich verboten, und Hunde wurden dort erschossen – sofern sie nicht zu Clemens Augusts 80- bis 90-köpfigen, angeblich noch namentlich bekanntem Hunde-Hofstaat gehörten.
Wer das alles auf engem Raum zusammentrug und unter Titeln wie „Als das Volk aufstand, fielen die Barockengel aus allen Wolken“ collagierte oder kuratierte, war der 2009 verstorbene Künstler Günther Krüger. Mit sozialkritischer Verve erfreuen seine Texte sich an der Beschreibung, wie französische Revolutionstruppen den letzten Kurfürsten (Clemens Augusts Nachnachfolger Maximilian Franz, einen Habsburger) vertrieben und dann der Pfarrer Henrich Gareis „Agent Municipal“ wurde. Und sie rücken in den Fokus, dass die Erzbischöfe von Köln ihren klangvollen Titel deshalb im kleinen Brühl (und in Bonn, wo sie meist ihre Hauptresidenz hatten) führten, weil sie aus dem im Mittelalter großen und reichen Köln vertrieben worden waren.
Das mutmaßliche Baulöwentum des Kurfürsten ist natürlich kein Grund, die wirklich hübschen Schlösser (von denen Clemens August in der Umgebung noch weitere bauen ließ – sogar so viele, dass er gar nicht dazu kam, sie auch alle, etwa das längst wieder verschwundene Jagdschloss Herzogsfreude zu benutzen…) heute nicht anzuschauen. Im Gegenteil, nach einem Besuch im Alltagsmuseum tut man es mit anderen Augen.
Übrigens: Wer mit dem Zug von Köln nach Bonn fährt, fährt mitten durch Clemens Augusts Lustschlösser-Paradies. Augustusburg liegt gleich hinter dem Brühler Bahnhof (wo sich auch das dem bekannten Surrealisten und gebürtigen Brühler Max Ernst gewidmete Museum befindet, dessen Baugeschichte Baulöwen früherer Epochen durchaus noch imponieren könnte, vgl. „Die Zeit“ 2012). Das Falkenlust-Schloss folgt, wenn man von Köln kommt, kurz darauf auf der anderen Seite. Denn bald nachdem die bis dahin in Deutschland zahlreichen Biotope baufreudiger Fürstbischöfe in der Zeit Napoleons säkularisiert wurden, wurde das Rheinland preußisch. Und der König Friedrich Wilhelm IV., dem die Schlösser zeitweilig gehörten, ließ seinen Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné halt spaßeshalber die damals ganz neue Eisenbahn in die Gartengestaltung einbeziehen. Wobei Augustusburg natürlich nur eines unter vielen Schlössern war, die der vor allem in um um Berlin residierende König bewohnte.