In Ahrensburg sprang mir zunächst vor allem die erstaunliche Vielfalt von ähnlich grünen wie langen Wohnstraßen, auf denen außer moderatem Autoverkehr wenig los ist, ins Auge. Der nominell schleswig-holsteinische Ort zählt eben zum sog. Speckgürtel der Großstadt Hamburg, mit der er fast schon zusammengewachsen ist. Umso schöner, wenn einem dann ein weißes Wasserschloss begegnet.
Drumherum befindet sich ein großzügiger Park, den steinerne Löwen und echte Enten beleben. Und historisch interessierte Menschen macht ein Gedenkstein, der an die Aufhebung der Leibeigenschaft anno 1788 erinnert, gespannt darauf, was sich im Schloss so abgespielt hat. Das hat tatsächlich mit Eigentumsanspruch auf Menschen zu tun – aber auf etwas andere Weise, als der Stein vermuten lässt: Der prominenteste Schlossbewohner, Heinrich CarlSchimmelmann, häufte im 18. Jahrhundert Reichtum unter anderem auf dem damaligen Geschäftsfeld des globalen Sklavenhandels an.
Im Museum, das das Ahrensburger Schloss beherbergt, kann man erstens „auf Pantoffeln … durch Jahrhunderte gehobener Wohnkultur“ „gleiten“, und zweitens in ausliegenden Mappen Texte lesen, die auch über die hässlichere Medaillenseite informieren – über den Kontinente umspannenden „Dreieckshandel“ aus einer Hand, wie der Historische Arbeitskreis Ahrensburg ihn online ausführlicher beschreibt. Dreieckig deshalb, weil Schimmelmanns Unternehmen zwischen Afrika, Amerika und Europa außer mit Sklaven auch mit von diesen erzeugten Rohstoffen sowie daraus gefertigten Produkten handelten. Möglich war das, weil Holstein jahrhundertelang sozusagen eine doppelte Staatsbürgerschaft besaß: Es war ein deutsches Fürstentum im „Heiligen Römischen Reich“, weil es der dänische König regierte, zugleich aber dänisch. Daher begegnet einem immer mal wieder auch das Kuriosum, dass Hamburgs heute viertgrößter Stadtteil Altona einst die zweitgrößte Stadt Dänemarks war. Und während deutsche Staaten bis ins späte 19. Jahrhundert hinein kaum Kolonien erobert hatten, besaß Dänemark jenseits von Grönland zwar nicht viele, aber doch ein paar in Afrika und der Karibik.
Nachdem Heinrich Carl Schimmelmann seine Geschäftsmannkarriere in Hamburg mit der Versteigerung von 110 Kisten Meißener Porzellan (die die Preußen im Siebenjährigen Krieg in Sachsen erbeutetet hatten) begonnen hatte, kaufte er 1763 das zwei Jahrhunderte zuvor errichtete Renaissance-Schloss in Ahrensburg. Es diente ihm eher als hübsches Herrenhaus denn als Residenz, da Dänemark eben ein vergleichsweise straff organisierter Staat war. Darin machte er eine nachhaltige politische Karriere – bizarrerweise zurselben Zeit, als der ebenfalls aus Preußen gelangte radikale Aufklärer Johann Friedrich Struensee (noch bekannt durch Schilderungen seines tragischen Lebens in Romanen und Spielfilmen, zuletzt dem mit Mads Mikkelsen) ebendort einen noch steileren, aber kurzen Aufstieg erlebte. Seine Reformen, darunter ein frühes Sklavenhandelsverbot, waren nach seiner fürchterlichen Hinrichtung wieder obsolet. So gelang Schimmelmann ab 1778, mit der „Königlich Oktroyierten Dänisch-Westindischen Handelsgesellschaft“ der Aufstieg zum „bedeutendsten Sklavenhalter des dänischen Reiches“, wie es der Hygiene-Professor Stefan Winkle in einem Artikel formuliert hat. Und weil zurselben Zeit der amerikanische Unabhängigkeitskrieg lief, profitierte der Holsteiner Däne auch davon, dass die im transatlantischen Sklavenhandel eigentlich führenden Briten aussetzen mussten.
Ein schärferer Diskurs wird in Wandsbek, heute ein Wundrand Stadtteil Hamburgs, damals ebenfalls dänisch und Standort eines weiteren Schimmelmann-Herrenhauses, gepflegt. Das belegt z.B. der Wikipedia-Abschnitt über ein 2006 auf dem Wandsbeker Marktplatz (einer von Hamburgs herausragend trostlosen Betonwüsten) eingeweihtes und dennoch bereits wieder „ehemaliges Schimmelmann-Denkmal“. Eine so ausführliche wie differenzierte Betrachtung der Sache aus postkolonialer Sicht steht bei afrika-hamburg.de online; dort erfährt man z.B. dass zu den frühen Kritikern der Sklaverei der „Der Mond ist aufgegangen“-Dichter Matthias Claudius zählte – dessen Zeitung „Wandsbecker Bothe“ wiederum Schimmelmann persönlich herausgegeben hatte.
Um es (noch) komplizierter zu machen: Heinrich Carl Schimmelmanns Sohn Ernst führte nicht nur solch Mäzenatentum fort (und unterstützte, wie das Ahrensburger Museum gern erwähnt, etwa den kranken Weimaraner Dichter Friedrich Schiller mit dreimal 1000 Talern). 1792 verbot er als dänischer Minister gar den von seinem Vater noch so profitabel betriebenen Sklavenhandel – weshalb Dänemark auch als erster Staat gilt, der den Sklavenhandel über den Atlantik untersagte. Wozu der schon zitierte Winkle andererseits anmerkte, dass zu diesem Zeitpunkt „der dänische transatlantische Sklavenhandel… längst infolge der erdrückenden englischen Konkurrenz zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft“ war. Wiederum andererseits: Die Leibeigenschaft hatte jener Schimmelmann-Sohn vier Jahre zuvor bereits abgeschafft, womit Holstein unter den deutschen Ländern keineswegs besonders spät dran war. Daher der Gedenkstein…
Die bewegten Zeiten einen Tick offensiver auch mit ihren hässlichen Seiten und Ungleichzeitigkeiten einzuordnen, würde dem Ahrensburger Schlossmuseum sicher nicht schaden. Etwas mehr Spannung könnte die Ausstellung, die zurzeit vor allem dem Zweck dient, mit selbst schon etwas museal anmutender Freude die Schimmelmann’schen Originaleinrichtung bestaunen zu sollen, jedenfalls vertragen. An Schlössern mit schönen Interieurs herrscht schließlich wahrlich kein Mangel in Deutschland.
Immerhin, gedämpfte Spannung herrscht im Ahrensburger Schlosspark immer im „Kinosommer“ (Facebook), wenn nämlich regelmäßig der Edgar-Wallace-Film „Der grüne Bogenschütze“ gezeigt wird. Der spielt zwar in und um London, entstand aber 1960 zu wesentlichen Teilen ums Ahrensburger Schloss – und ist ebenfalls eine dänisch-deutsche Geschichte: Die Produktionsfirma Rialto-Film war gerade erst aus Kopenhagen, wo noch der erste deutsche Nachkriegs-Wallace-Film „Der Frosch mit der Maske“ entstanden war, ins nahe, aber schlosslose Hamburg gezogen und filmte das Ahrensburger Schloss als Wohnsitz des von Gert Fröbe dargestellten Schurken.