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Zwischen Straßenstern und Hirschtor (Neustrelitz)

Neustrelitz, Hera-Statue im Schlossgarten, Carolinenpalais

Ein gemeinsamer Nenner von Bewohnern Deutschlands vieler Epochen, die Gegenwart inklusive, ist die Italien-Sehnsucht. Schon seit Jahrhunderten zogen oder fuhren viele, so oder so, in den sonnigen Süden, in dem die Zitronen blühen. Wenn sie Fürsten mit umfassender Befehlsgewalt, aber immobilem Besitz waren, ließen sie sich manchmal sogar Residenzstädtchen errichten, deren Stadtgrundriss „einer italienischen Idealstadt nachempfunden“ war.

Neustrelitz, Stadtkirche mit Turm im Campanile-Stil

Und was könnte so etwas besser anzeigen als ein Kirchturm „im Stil eines toskanischen Campanile“ (stadtkirche-neustrelitz.de)?

Daher erfreut das mecklenburgische Neustrelitz, das im 18. und 19. Jahrhundert als Residenzstadt mit einer Menge Antiken- und Fürstendenkmälern sowie Prinzessinnenpalästen aus dem Nichts (nahe beim alten Strelitz, das heute als Strelitz-Alt ein Neustrelitzer Stadtteil ist) ganz neu erbaut worden ist, sich eines „vom quadratischen Markt ausgehenden achtstrahligen Straßensterns“ sowie sogar einer „europaweit einzigartigen … barocken Stadtanlage“.

Neustrelitz, Teil des Straßensterns (Rondell) mit Rathaus im Hintergrund
Neustrelitz, Straßenstern von oben als Modell

Uneingeschränkt italienisch wirkt dieses Neustrelitz im Frühjahr dennoch nicht, sondern auch wie eine typische Stadt der ehemaligen DDR, in der eben viele Häuser stilecht spätbarock-frühklassiszistisch restauriert wurden und die Ladengeschäfte darin oft von Filialen der gängigen Discounter belegt sind.

Wie sinnvoll es erscheint, im flachen Norddeutschland Italienisches nachzubauen, liegt natürlich immer auch im Auge jeweiliger Betrachter; wenn sie dort gar nicht wohnen, sondern nur mal vorbeikommen, hängt es auch davon ab, wie im Moment des Betrachtens das Wetter war undsoweiter. Schon beim zweiten Vorbeikommen, kann es stimmiger wirken. Sicherlich hülfe, den Straßenstern oben vom Campanile aus betrachten zu können. In der Hauptsaison soll er einfacher zugänglich sein, als Anfang April, als ich es versuchte. Ein betrachtenswertes Kuriosum ist die Architektur jedenfalls.

Neustrelitz, Strelitzer Straße

Dass Neustrelitz nicht rundum den Eindruck macht, vor solcher Lebensfreude überzuschäumen, die man im Norden gern mit dem Süden assoziiert, hängt auch mit den Persönlichkeiten zusammen, die die Stadt Besuchern gern (und zurecht) präsentiert, beziehungsweise deren Lebensgeschichten. Königin Luise zum Beispiel, die deutsche Königin der Herzen des 19. Jahrhunderts, die als Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz geboren worden war:

„Die Schlosskoppel war ein Lieblingsaufenthalt der preußischen Königin Luise, Tochter des Herzogs Carl … Ein Spaziergang mit ihrem Bruder Georg führte sie zuletzt am 28. Juni 1810 hierher. Eine Hofdame vermerkte in ihrem Tagebuch, die Königin sei auf dem Rückweg in eine unerklärliche Traurigkeit verfallen. So habe sie sich an einem Ausgang der Schlosskoppel auf einen Stein gesetzt und ihren Kopf mit der Hand gestützt. Am Spätnachmittag fuhr Luise nach Schloss Hohenzieritz, wo sie erkrankte und am 19. Juli verstarb. Der Luisenstein kündet heute vom Aufenthalt der Königin in der Schlosskoppel“,

heißt es in einem Faltblatt über diese Schlosskoppel, die als „Urwald von Neustrelitz“ heute ein schönes Waldgebiet darstellt. Diesen Luisenstein habe ich dort nicht gefunden. Beim Nachlesen klingt es so, als sei das nicht so schlimm … Oder Friedrich Wilhelm Buttel, der Hofbaumeister und Schinkel-Schüler, der den klassizistisischen Stil der kleinstädtischen Residenz im 19. Jahrhundert weithin geprägt hat (nachdem den Straßenstern schon im 18. Jahrhundert der noch immer etwas rätselumwitterte Baumeister Julius Löwe erbaut hatte). Über Buttel vermerkt ein weiteres Neustrelitzer Faltblatt:

„Tragisch für ihn war, dass Großherzog Friedrich Wilhelm II. ihm bis zuletzt die Pensionierung verweigerte. Buttel nahm sich 73jährig wegen totaler Überarbeitung, schwindender Sehkraft und persönlicher Schicksalsschläge (an der Schlosskirche zeigten sich Risse, die Ehefrau verstarb, die Tochter war krank) am 4. November 1869 das Leben“.

Neustrelitz, Buttels Schlosskirche und Großherzogsdenkmal (Ghz. Georg)

Das ist natürlich durchaus geradezu ein Grund, sich den Ort in seiner spätbarock-frühklassizistischen, dabei von der bescheidenen Finanzkraft der Großherzöge des kleinen Staats geprägten Mischung anzuschauen. Diese Schlosskirche steht auch noch. Ihr Stil ist wiederum neogotisch. Davon, eine Kathedrale im portugiesischen Batala nachbauen zu müssen, soll Buttel seinen Großherzog abgebracht haben, informiert die daneben aufgestellte Texttafel. Das Schloss selbst glänzt durch Abwesenheit. Es wurde 1945 zerstört und als Ruine in der frühen DDR-Zeit gesprengt. Das bräuchte im schlossreichen Deutschland nicht bedauert zu werden. Einen Verein, der es wiederaufbauen möchte, gibt es dennoch.

Neustrelitz, Hirschtor

Ohne Schloss dahinter und wohl auch in sich „unvollendet“ (nordkurier.de) umso besser zur Geltung kommt das Hirschtor, das Buttel nach Plänen Karl Friedrich Schinkels mit von Christian Daniel Rauch, einem „Hauptmeister des deutschen Klassizismus“, hergestellten Hirschplastiken errichtete. Deren komplexe Geschichte (der als Vorbild in mecklenburgischen Wäldern erlegte Hirsch „entsprach nicht den Vorstellungen, da der Hirsch noch nicht ausgewachsen war …“) erläutern weitere Texttafeln. Das Tor führt zum Neustrelitzer Tiergarten und zum erwähnten Schlosskoppel-Urwald.

Und dazwischen liegt das Neustrelitzer Stadion. Fun fact für Fußballfreunde: Trainer der dortigen TSG ist derzeit der einzige deutsche Ex-Nationalspieler, dessen Name mit BRD beginnt – der in seiner aktiven Zeit immer etwas unterschätzte Stürmer Thomas Brdaric. Er könnte drauf und dran sein, die TSG in die dritte Liga zu führen.

Dann würde dieses Neustrelitz manchmal sogar in der „Sportschau“ auftauchen.

Neustrelitz, Carolinenpalais und Campanile-Kirchturm im Hintergrund

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