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Schlabbe auf Exe (Pirmasens)

Pirmasens, Schlosstreppe

Pirmasens ist keine Stadt, der sofort Herzen zufliegen – auch dann noch nicht, wenn man bereits eingetroffen ist.

Einen Besuch lohnt die Stadt in der Südwestpfalz dennoch, weil sich in ihr drei bis vier Aspekte der Geschichte vieler deutscher Städte so klar wie sonst nur selten zeigen.

Pirmasens, Stadttor-Reste in der Fußgängerzone

Erstens war Pirmasens 1945 wie viele Städte sehr zerstört, musste aber vor allem schnell wiederaufgebaut werden, da die Einwohnerzahl trotz vieler Opfer der Bombenangriffe durch viele Flüchtlinge stieg. Wie schnell damals der Wiederaufbau gehen musste, ohne im geringsten den gegenwärtigen Idealen irgendeiner Authentizität folgen zu können, sieht man gut in Pirmasens.

Genauso sichtlich zeigt die Stadt, die gar nicht sehr alt ist, sondern 2013 ihr 250-jähriges Jubiläum beging, dass sie im Abolutismus entstanden war. Ihr local hero, der zum Beispiel auf Schaufenstern eines leerstehenden Kaufhauses gefeiert wird, heißt Ludwig und war der einzige Fürst, der jemals in Pirmasens residierte.

Pirmasens, altes Rathaus (nun Museum) am Schlossplatz

Was baulich am ehesten daran erinnert, sind die Schlosstreppen am Schlossplatz, bei denen es sich allerdings nicht um authentische Treppen handelt. Sie wurden erst, als der Wiederaufbau-Druck gewichen war und die Fußgängerzone eingerichtet wurde, den alten Remparts, also Rampen zum Raufreiten, nachempfunden. Um Authentizitätsanschein, wie er im 21. Jahrhundert beim Schlösser-Wiederaufbau beispielsweise in Potsdam und Berlin en vogue ist, hatte man sich in Pirmasens auch dann nicht bemüht. Das Schloss gibt’s sowieso seit 1805 nicht mehr.

Wo es einst stand, befindet sich nun der Schlossplatz, an dem das alte Rathaus als eines der ältesten erhaltenen Bauwerke der Stadt steht und inzwischen ein schönes Stadtmuseum beherbergt.

Pirmasens, Exe(rzierplatz)

Eine größere Attraktion, die ebenfalls schon 1809 zerstört wurde, und eine weitere, die noch existiert, hatte Landgraf Ludwig IX. seiner Hauptstadt und Garnisonsstadt außerdem beschert.

Den riesigen Exerzierplatz gibt es deshalb noch, weil er im wahrsten Sinne ausschließlich aus freiem Platz besteht. Auf dem Exe finden Wochenmärkte und Feste wie das „Exefest“ statt, manchmal ist er einfach leer. Einst konnten beziehungsweise mussten dort die Grenadiere, denen Landgraf Ludwigs Leidenschaft in allererster Linie gehörte, exerzieren. Ihretwegen hatte er die Stadt überhaupt bauen lassen.

Pirmasens, ehemaliges Kaufhaus mit Landgraf-Ludwig-Motiven

Denn Ludwig hatte einen Militärfimmel. Er hatte persönlich Kommandeurs-Funktionen in französischen, preußischen, österreichischen und russischen Armeen ausgefüllt (also auf im 18. Jahrhundert seehr gegnerischen Seiten …). Sobald er einen eigenen Kleinstaat regieren konnte, seit 1736 die Grafschaft Hanau-Lichtenberg, ließ er vorzugsweise eigene Soldaten exerzieren. Sein Faible für „Soldatenspielereien“ wurde schon zu seiner Zeit belächelt und wird es, zum Beispiel in Biografien seiner Frau, der überwiegend anderswo residierenden, viel mehr an Kultur, Goethe, Herder undsoweiter als an Militär interessierten „Großen Landgräfin“ Karoline, weiterhin.

Was das Faible vielleicht etwas sympathischer wirken lässt: Anders als viele zeitgenössische Fürsten-Kollegen vermied es Ludwig IX. immerhin, seine Soldaten in Kriege zu schicken. Und erst recht vermietete oder verkaufte er sie nicht an fremde Großmächte, wie zurselben Zeit etwa die Landgrafen von Hessen-Kassel ihre Truppen nach Amerika schickten, um sich vom Geld, das der englische (und Hannoveraner) König dafür bezahlte, neue Schlösser zu bauen. Ludwig wohnte einfach das alte Jagdschloss seines Großvaters auf.

Pirmasens, Modell der Exe-Halle im Museum
Modell der Exe-Halle im Museum

Seine Grenadiere mussten zwar auch im Winter exerzieren, doch – das war seinerzeit Pirmasens‘ größte Attraktion – konnten sie das in einer 26 mal 21 Meter großen und von sechzehn gusseisernen Öfen beheizten Exerzierhalle tun.

Es sei die zweitgrößte Exerzierhalle Europas nach der im russischen St. Petersburg gewesen, heißt es in Pirmasens (und war vermutlich sogar die zweitgrößte der Welt, denn sehr wahrscheinlich wurde solch ein Unfug auf anderen Kontinenten nicht getrieben …). Diese Halle  wurde 1809 abgerissen, als Pirmasens wie das ganze linksrheinische Deutschland französische Provinz war. Wo sie einst stand, stehen nun eine große Kirche und davor eine Statue des heiligen Pirminius, dem die Stadt ihren Namen verdankt.

Pirmasens, Piriminius (am alten Exerzierhallen-Standort)

Wobei Pirmasens nach den Zeiten dieses Heiligen im siebten und achten Jahrhundert noch jahrhundertelang Dorf geblieben oder durch die vielen Kriege in der Pfalz im 16. und 17. Jahrhundert sogar eher noch kleiner geworden als gewachsen war.

Gerade der viele freie Platz war es dann, der Ludwig angefixt hat, nachdem er Hanau-Lichtenberg geerbt hatte. Zu dieser Grafschaft gehörte zwar nicht viel Gebiet rund um Hanau, aber allerhand im Südwesten. Ihre Hauptstadt war Buchsweiler, das heute eher Bouxwiller (oder Buxwiller) heißt. Nachdem Frankreich das Elsass annektiert hatte, waren deutsche Kleinstaatenherrscher dort zwar noch als Standesherren und Grundbesitzer akzeptiert, jedoch nicht so souverän wie im Heiligen Römischen Reich. Soldaten-Spielwiesen gestatteten die besonders absolutistischen französischen Könige (die ja auch alle Louis hießen) unter ihrer Herrschaft nicht. Daher also hatte der Darmstädter Ludwig sich dafür eine hanauische Besitzung außerhalb des französischen Oberherrschaft ausgesucht.

Als er nach dem Tod seines Vaters später auch den größeren Kleinstaat Hessen-Darmstadt erbte, blieb Ludwig trotzdem in Pirmasens und fühlte sich in seinem nach seiner Façon erichteten Hauptstädtchen wohl Zeit seines Lebens wohl. Das ging gerade noch gut, da er 1790 starb, als die Französische Revolution zwar schon begonnen, aber noch nicht die Pfalz erreicht hatte. 1793 besetzten dann die Franzosen die Gegend, und sowohl das Schloss als auch die Exe-Halle, für die jeweils kein Bedarf mehr bestand, wurden abgerissen. Ludwigs Erben störte das kaum. Auch im Absolutismus tickte die nächste Generation bereits häufig anders als die vorige, und Ludwigs Sohn interessierte sich nicht im geringsten für Pirmasens, sondern blieb dort, wo seine Mutter residiert hatte: in Darmstadt. Er kam hier im Blog schon mal vor. Er hieß wie fast alle Darmstädter Fürsten ebenfalls Ludwig und war jener X. bzw. I., mit dem die Zählung noch mal von vorn begann, weil er sich den klangvolleren Titel des Großherzogs zu verschaffen wusste.

Pirmasens, Landgraf-Ludwig-Denkmal vorm Exe

Was in Pirmasens heute also am eindrucksvollsten von Ludwigs IX. Zeiten zeugt, ist also der Exe (der allerdings einst noch größer war als er heute ist).

Nachdem er in der Nachkriegszeit als das diente, als das riesige Plätze längst vor allem dienen: als Parkplatz, ist er inzwischen mit einem mehrgeschossigen, beliebten Parkhaus unterbaut – und oben wieder frei. Die Balustraden, die ihn jetzt umgeben, sind natürlich nicht historisch. Sie hätten ja beim Exerzieren gestört.

Pirmasens, ehemalige Schuhfabrik (Rheinberger)
Pirmasens, ehemalige Schuhfabrik (Ludwig Kopp)

Noch ein prägender Aspekt springt am Rand des Exe sowie überall in der Stadt in Auge: Pirmasens wurde später zu einer gewaltigen Industriestadt.

Große  Fabrikgebäude auch mitten im Zentrum zeugen noch davon. Allerdings sind es ehemalige Fabriken, denn was in Pirmasens einst produziert wurde, wird inzwischen weitestgehend in anderen Weltgegenden hergestellt.

Wie die von Ludwig X. entlassenen Grenadiere neue Erwerbsquellen suchten und schließlich aufs Herstellen von Schlabbe verfielen, schildert das schöne Stadtmuseum ebenfalls. Im Umgang mit Schuhwerk waren die ehemaligen Soldaten ja im wahrsten Wortsinn bestens geübt … Bis in die 1970er Jahre, als der „Wandel zum Billigschuh (Stichwort: Wegwerf-Gesellschaft)“ begann, wie es dort auf einer Texttafel heißt, lebten Tausende Pirmasenser von der Schuhindustrie.

Pirmasens, Damenschuh im Museum

Immerhin stehen nicht alle ehemaligen Schuhfabriken leer. Die Rheinberger-Fabrik (deren Name sich einem Eigennamen verdankt; Pirmasens liegt zwar in der Pfalz, aber nicht im Rheinland …) war einst die größte Europas und beherbergt heutzutage das Mitmachmuseum „Dynamikum“.

Und nicht alle Schuhfabriken sind ehemalig. Zum Beispiel stellt die nach eigenen Angaben „älteste Schuhfabrik in Europa“ weiterhin Damenschuhe her, so wie auch die Produktion solcher Leisten, bei denen man sprichwörtlich bleiben sollte, in Pirmasens verblieben ist (genau wie auch in der von Walter Gropius erbauten, zum Weltkulturerbe erklärten Fabrik im niedersächsischen Alfeld; Leisten sind ein ziemlich faszinierendes Produkt …).

Und das International Shoe Competence Center Pirmasens erfüllt den im ersten Moment trotzig klingenden Anspruch, dass in Pirmasens Schuhe zwar nicht mehr viel gemacht, aber doch „erdacht“ würden, mit Leben.

Pirmasens, Haus der Schuhindustrie

Kurzum: Pirmasens pflegt einen eigenwillig-selbstbewussten Umgang mit seiner Vergangenheit – zum Beispiel hat der Stierkopf hoch über der Schlosstreppe mit dem Landgrafen und seinem restlos verschwundenen Schloss überhaupt nichts zu tun, sondern war das Markenzeichen einer lokalen Gerberei.

Am Ende eines Stadtrundgangs könnte man die Stadt doch ins Herz geschlossen haben. Und hätte die schwierige aktuelle Fußball-Frage, durch die einer der nach eigenen Angaben „ältesten reinen Fußballvereine in Deutschland“ nun ebenfalls mit Globalisierung konfrontiert wird, noch gar nicht gestreift: Der einstige Zweitliga-Verein FK Pirmasens musste aus der Regionalliga Südwest absteigen, in der in der kommenden Saison sozusagen stattdessen die chinesische U-20-Nationalmannschaft antreten soll …

Pirmasens, Stierkopf über der Schlosstreppe

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