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Die schwierige Kieler Kindheit eines kurzzeitigen Zaren

Kiel, Zar Peter III. als Denkmal vorm Schloss

Beim Schloss in Kiel ist es gut, dass sein Standort auf Stadtplänen notiert ist, die Straße davor Schlossstraße heißt und das enthaltene Parkhaus „Schlossgarage“.

Sonst würden viele Passanten die kastenförmigen Backsteinbauten überm Parkhaus kaum dafür halten. Einerseits waren das ursprüngliche Renaissanceschloss und die späteren Veränderungen daran ohnehin angenehm schlicht und nordisch-nüchtern gehalten. Andererseits ist, was nach der Zerstörung 1945 zum einzig erhaltenen Flügel neu nachgebaut wurden, so wenig um Ähnlichkeit bemüht und so un-schlossig, dass es niemanden wundern würde, wenn es sich um einen vergleichsweise repräsentativen alten Heringsspeicher handeln würde.

Kiel, Schloss (mit dem erhaltenen alten Flügel links)

Lange Sitz eines Herrschers war die heutige Hauptstadt des Bundeslandes Schleswig-Holstein in länger vergangenen Jahrhunderten nie gewesen. Etwa von 1721 bis 1773 erfüllte Kiel so eine Funktion. Damals hatten (im Rahmen der enorm komplizierten schleswig-holsteinischen Geschichte) die Schleswig-Holstein-Gottorfer Herzöge ihren schleswigischen Besitz an Dänemark verloren und mussten in ihrem holsteinischen Besitz ansässig werden.

Kiel, Schloss (neuer, rechter Flügel)

An den wichtigsten nominellen Herrscher erinnert ein Denkmal vorm unscheinbaren Kieler Schloss: Karl Peter Ulrich, der nicht nur als Herzog über Teile Holsteins herrschte, sondern sogar als Peter III. zum russischen Zaren aufstieg und überdies hätte König von Schweden werden können. Ja, anno 1742 wurde der Sohn einer Zarentochter zu beidem ernannt. Bloß kombinieren ließen sich diese beiden Titel nicht miteinander, und Peter war damals erst vierzehn Jahre alt.

Seine Entourage entschied sich für den mächtigeren Posten. Im selben Jahr verließ Peter das Kieler Schloss, um in St. Petersburg, der nach seinem Großvater Peter dem Großen benannten damaligen russischen Hauptstadt, ganz große Weltgeschichte schreiben zu sollen.  Was allerdings nicht bzw. nicht lange gelang.

Kiel, Kiel-Verkörperung Kilia als Denkmal
Nicht Katharina, sondern die Kiel-Verkörperung „Kilia“ …

Bis zum Machtantritt, der mit dem Tod der Vorgängerin und seiner Tante kam, vergingen noch 19 Jahre. Solange lebte Peter als Großfürst am russischen Hof lebte. 1745 wurde er verheiratet – mit einer weiteren aus Deutschland eingeschifften Adeligen. Diese Anhalt-Zerbster Prinzessin wurde als Katharina die Große sehr viel bekannter als ihr Mann. Nachdem die alte Zarin 1761 bzw. 1762 (je nach Kalender) gestorben war, regierte Peter ein halbes Jahr lang. Dann wurde er abgesetzt und bald darauf unter unklaren Umständen getötet. Inwieweit Katharina mit letzterem zu tun hatte, ist das Unklare. Dass sie mit ersterem, der Absetzung, viel zu tun hatte, ist so klar wie der Umstand, dass sie unter anderem als Memoiren-Autorin das üble Image ihres Gatten geformt hat, der als ziemlicher Freak noch durch jeden Katharina-die-Große-Film kurz spukt und sonst vergessen ist …

Dabei hatte zu seinen vielen Plänen als neuer Zar wohl gehört, Tausenden nach Sibirien Verbannten die Rückkehr zu erlauben und die Folter zu verbieten. Einen Krieg (den Siebenjährigen) hatte er tatsächlich beendet, einfach indem er den russischen Soldaten befehlen ließ, nicht mehr weiterzukämpfen. Das war seinerzeit sehr ungewöhnlich und wurde durch einen Preußen-Fimmel Peters erklärt (und in Preußen als „Mirakel des Hauses Brandenburg“ verklärt), könnte unter postheroischen Gesichtspunkten aber eine Neubewertung vertragen. Wobei zu Peters Plänen andererseits ein Krieg gegen Dänemark gehört zu haben scheint, um die verlorengegangenen schleswigischen Schleswig-Holstein-Gottorf-Teile zurückzuerobern.

Auf einen interessanter Erklärungsversuch für die überlieferten Wunderlichkeiten Peters stößt man in der „Alten Allgemeinen Deutschen Biographie“, einem online verfügbaren Lexikon des 19. Jahrhunderts. Obwohl seitdem viel passiert ist, klingt noch überzeugend, was Autor F. v. Krogh 1887 über Peters Kindheit im Kieler Schloss schrieb:

„… Der Unterricht, in dem die fremden Sprachen natürlich eine Hauptrolle spielten, dauerte von Morgens bis Abends spät; von Erholung, Bewegung in freier Luft, Anregung im Umgang mit Altersgenossen war keine Rede. Ermüdet und ermattet von Schulstunden mußte der Prinz oft stundenlang auf das Essen warten, wenn sich Graf Brümmer eben auf der Jagd oder im Salon der Frau v. Brockdorff ergötzte. … … Wenn seitens der Lehrer geklagt ward, daß der Prinz wenig Sinn für die Grammatik zeige, gab es heftige Auftritte und unpassende Strafen; so ließ ihn Graf Brümmer an seinen Arbeitstisch binden, mit entblößten Knieen auf Erbsen liegen oder stundenlang mit einem Eselsbild um den Hals zum öffentlichen Aergerniß umhergehen. … Das Aergste aber, was dem Prinzen widerfuhr, war doch die Art, wie man den Religionsunterricht betrieb: je nachdem die Aussichten auf die Thronfolge in Rußland oder in Schweden mehr in den Vordergrund traten, ward er in griechischkatholischer oder in lutherischer Confession unterrichtet, wobei fanatische Geistliche sich bemühten, ihm Mißtrauen und Haß gegen die Lehren der gerade bei Seite geschobenen Religion einzuflößen …“

Um eine Neubewertung dieses Peters bzw. darum,

„diesem aufgeklärten Fürsten späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“,

bemühen sich das Kieler Denkmal des russischen Bildhauers Alexander Taratynov und der Zarenverein, der es gestiftet hat.

Kiel, im Stadtmuseum

Der Internetauftritt zarpeterIII.de des Vereins enthält lange Texte, die vor allem für Peter Partei ergreifen, und dokumentiert Reden zur Denkmalsenthüllung 2014, in denen außer zu einer „Rufmord-Kampagne, die bis heute fortwirkt“ (die ein Nachfahre Peters bei der Gelegenheit beklagte), auch vom wiederum hoch komplizierten deutsch-russischen Verhältnis in der Gegenwart die Rede ist. Es geht etwa um den Krieg in der Ukraine, zu dem eine schnell eine sinnvolle Meinungzu formulieren ist ähnlich schwer wie zur Frage, ob im 18. Jahrhundert nun eine Zarin, ihr Zar oder das damalige absolutistisch-feudalistische System von größerem Übel waren …

Zerbst, Katharina-die-Große-Denkmal
Ebenfalls von einem Russen gestaltetes Katharina-Denkmal in Zerbst

Kiel selbst ging es in der großfürstlichen Zeit, in der Peter am russischen Hof seine Zeit erwartete, ganz gut, und auch später, als Zarin Katharina (der ja auch Jever an der Nordsee gehört hatte) seine Landesherrin war. Das erfährt man im nicht weit vom Schloss entfernten Stadtmuseum. Städte konnten oft auch ohne in ihnen residierende Fürsten gut auskommen. Als Katharina später ihren Anteil an Holstein mit Dänemark tauschte, brauchte Kiel sich wohl ebenfalls nicht zu beklagen.

Einer der großen Verlierer-Typen, denen sehr viele Chancen offenzustehen schienen und wenig gelang, ist der Herzog und Zar, der als Denkmal vorm Kieler Schloss steht, jedenfalls. Gleich dahinter liegt übrigens die Förde bzw. die Ostsee, die zum Reiz des Schlosses natürlich beitrug und heute anzusehen deutlich mehr her macht als das schlichte Bauwerk.

Kiel, an der See (oder Förde)

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