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Neulich in Lich

Lich, die stadtbildprägende Brauerei

Lich im nördlichen Südhessen (oder südlichen Mittelhessen?) ist überregional bekannt wegen seines Kinos, zumindest unter Cineasten in Hessen. Und wer den „Traumstern“ nicht kennt, dürfte zumindest zustimmen, dass er einen der schönsten möglichen Kinonamen trägt. Weiter überregional bekannt ist die Stadt wegen ihres Bieres. Tatsächlich dominiert die Brauerei, die inzwischen einer Brauerei aus Bitburg gehört, das Stadtbild mindestens so wie Stadtkirche oder Schloss es tun, und das gar nicht so übel. Gleich neben dem modernen Bierausstoß-Komplex steht nämlich auch die hübsch historistische Dampfbierbrauerei aus den 1850er Jahren, die man beinahe für leicht jugendstilig halten könnte.

Lich, Bierkutscher-Denkmal

Bisschen unauffällig vor der Brauerei steht ein Bierkutscher-Denkmal, dem allerdings die Kutsche fehlt. Es besteht nur aus einem ein Bierfass (und natürlich seinen Bierbauch) tragenden Herren …

Wer Lich richtig kennenlernen will, könnte von dort einen einen knapp fünf Kilometer langen Weg durch den Wald, entlang am Flüsschen Wetter (das der Wetterau den Namen gab), in Richtung des eingemeindeten Ortsteils Arnsburg einschlagen. Der besteht allein aus einem ehemaligen Kloster.

Von der Klosterkirche aus dem 12. Jahrhundert stehen großenteils zweistöckige Gemäuer auratisch in schöner Landschaft. Drumherum befinden sich Bauten aus jüngeren Jahrhunderten sowie eine gewaltige Klostermauer. Spuren älterer Burgen sowie des Limes, mit dem die Römer ihr Reich nach Norden absicherten, lassen sich ebenfalls finden. Der Ruinen-Charakter der Kirche hat weniger damit zu tun, dass das katholische Kloster in weitgehend evangelischer Umgebung im Lauf seiner Geschichte sehr oft umkämpft war, sondern damit, dass es nach Säkularisierung auf Abbruch verkauft wurde.

Licher, Klosterkirchenruine in Arnsburg

Zurück nach Lich: Das war, wie so viele deutsche Orte, einmal Haupststädtchen (wobei: streng genommen, war Arnsburg das als Sitz des reichsunmittelbaren Klosters auch).

Am Licher Schloss ist vor allem eines ungewöhnlich: dass es nicht zu besichtigen und, wenn die Bäume im Schlosspark Laub tragen, kaum zu sehen ist. Das Schloss wird noch immer bewohnt von den Solms-Lichern (bzw. den Solms-Hohensolms-Lichern, so viel Zeit muss sein) bewohnt. Manche Mitglieder dieser Familie treten öffentlich allerdings bloß unter dem bürgerlich schlichten Namen Solms auf, z.B. der aktuelle Alterspräsident des Deutschen Bundestages.

Dass das Schloss sich nicht besichtigen lässt, ist überhaupt nicht schlimm. Es gibt dermaßen viele Schlösser aller Arten und Stile in Deutschland, dass niemand sie alle anzugucken braucht.

Lich, Schloss der Solms-Licher

Als Hauptstädtchen des Fürstentums Solms-Lich fungierte Lich bis 1806 … oder doch länger? 1806 wurde es in das neu vergrößerte Großherzogtum Hessen-Darmstadt eingegliedert, doch behielten auch die lokalenFürsten Privilegien, zu denen außer der Anrede als „Durch-“ oder sogar „Erlaucht“ auch die Gerichtsbarkeit in ihrem zuvor fast uneingeschränkten Herrschaftsgebiet zählte. Im ganzen langen 19. Jahrhundert herrschte in unterschiedlichen Mischformen Feudalismus.

Lich, fachwerkfreies Rathaus

Lich gelang es ausgerechnet in der Zeit des insgesamt nicht sehr geglückten deutschen Revolutionsversuchs 1848/49, sich aus der Gerichtsbarkeit seiner lokalen Fürsten zu lösen – was dann mit dem Bau eines neuen Rathauses am Marktplatz gefeiert wurde. Dieses Rathaus fällt immer noch augenfällig aus dem Rahmen des krassen Fachwerkstädtchens, das Lich in allererster Linie ist. Als fachwerkfreier, klassizistischer Bau mit Türmchen springt es beinahe ins Auge.

Lich, viel Fachwerk

In unmittelbarer Nähe befindet sich das Heimatmuseum, das umgestaltet wird, im Moment aber noch ein Alles-Mögliche-Museum im besten Sinne ist. Schon die Kellergewölbe (auch noch unterm verschwundenen Nachbarhaus) sind sehenswert. Außer übers frühere Leben im Ackerbürgerstädtchen und die Bauweise seine Fachwerkhäuser erfährt man wieder auch über die Fürsten einiges: Während das (kleine) Großherzogtum Darmstadt in seinen letzten Jahren an der Weltgeschichte mitschrieb, und zwar tragisch (so war die letzte russische Zarin, die mit ihrer gesamten Familie von den Revolutionären erschossen wurde, eine Hessen-Darmstädterin), schrieb die Standesherrschaft Lich an der Geschichte des kleinen Großherzogtums mit. Zumindest war dessen letzte Großherzogin eine Prinzessin zu Solms-Hohensolms-Lich. Und immerhin bildete diese Zeit einen kulturellen Höhepunkt der deutschen Kleinstaaterei: In Eleonores und ihres Gatten Ernst Ludwig Zeit avancierte ihre Hauptstadt zur Hochburg der jungen und ziemlich originellen Kunstrichtung des Jugendstils (weshalb Darmstadt gut ein Jahrhundert später einen Weltkulturerbe-Status erlangen könnte).

Lich, Kellergewölbe unterm Heimatmuseum

Doch zurück nach Lich: Dort sollte man dann noch einen Blick in die Kirche werfen, die eine bemerkenswerte Kanzel aus Lindenholz enthält, sowie jede Menge Epitaphe, die wiederum die komplexe Herrschaftsgeschichte des Hauptstädtchens spiegeln. U.v.a. ist Philipp von Solms-Lich aus dem 16. Jahrhundert vertreten. Ob der im 16. Jahrhundert Martin Luther auf dem Weg zum Wormser Reichstag Unterkunft geboten hatte, ist ungewiss. Zumindest gibt es heute in Lich einen Lutherweg (den, der zum Kloster Arnsburg führt; wenn auch sonst nicht viel vom Halbjahrtausend-Jubiläum der Reformation geblieben ist – gut ausgeschilderte Wanderwege sind es zumindest…). Gewiss ist, dass Philipp zurselben Zeit von Albrecht Dürer porträtiert wurde und sich sein individuelles Porträt deshalb über ein halbes Jahrtausend erhalten hat. Wobei das Epitaph natürlich auch ein Porträt darstellt …

Lich, Graf-Philipp-Epitaph in der Kirche

Zum Charme der Licher Kirche trägt bei, dass sie gar keinen Turm hat. Bzw. gibt es einen, der auch die Kirchenglocken enthält, jedoch knapp daneben steht. Es ist ein fast 50 Meter hoher Stadtturm der ehemaligen Stadtmauer, und wenn man davor steht, ist er doch mindestens so eine stadtbildprägende Dominante wie die Brauerei auf der anderen Seite des ehemaligen Hauptstädtchens.

Lich, Stadturm knapp neben der Kirche

(Fotos von 2020 und 2016)

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