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Erstaunliche ehemalige Hauptstädtchen: Gaildorf

Gaildorf, Altes Schloss

Gaildorf lädt, wenn man’s ausspricht, zu Wortwitzen ein. Historisch betrachtet gehört die heute gut 12.000 Einwohner zählende Stadt am in der Sonne oft schön braunlich schimmernden Fluss Kocher zu den ehemaligen deutschen Hauptstädtchen mit der komplexesten Herrschaftsgeschichte. Macht man sich vom Bahnhof Gaildorf West auf den (nicht ganz nahen) Weg zur Innenstadt, begegnet einem als erstes historisches Bauwerk das „Brandenburger Tor“ oder, wie man in Baden-Württemberg auch gern sagt: „Törle“.

Gaildorf, Brandenburger Tor/ Törle

Der von allen Landkarten längst völlig verschwundene Staat Brandenburg/ Preußen hatte, solange es ihn gab, seine Form laufend geändert. Zweimal etwa hatte Ostfriesland dazu gehört, und einmal ganz kurz auch Gaildorf: Anno 1713 hielt es gut zwei Monate lang ein Bataillon des Soldatenkönigs besetzt. Das gerade zum Königreich aufgestiegene Preußen glaubte, Ansprüche auf Gaildorf und seine Umgebung, die Grafschaft Limpurg, zu besitzen. Jedoch gab es, nachdem die Landesherren mit dem schönen Namen Schenken von Limpurg ausgestorben waren, jede Menge weitere Ansprüche: „Die letzten erbberechtigten Söhne hinterließen zusammen 10 erbberechtigte Töchter. Es begann eine stetige Erbteilung der ehemaligen Reichsgrafschaft Limpurg. Aus allen Himmelsrichtungen gaben sich nun Grafen und Fürsten in Gaildorf ein Stelldichein. Jeder erhoffte einen nicht minderen Teil des riesigen Erbes übernehmen zu können“, informiert die Geschichts-Seite auf gaildorf.de. Das führte, nachdem die Preußen sich aus der für sie ziemlich entlegenen und nicht so richtig wichtigen Ortschaft zurückgezogen hatten, zu sagenhafter Zersplittertheit durch das ganze übrige 18. Jahrhundert hindurch. Und zu, nun ja: Staaten mit so klangvollen Namen wie „Limpurg-Gaildorf-Solms-Assenheim“ und „Limpurg-Gaildorf-Wurmbrand“. Ob das eher zum Wettbewerb der besten Ideen untereinander führte oder die Untertanen im Alltag doch eher belastete, wäre eine interessante Föderalismus-Diskussion.

Eine noch heute erkennbare Folge: In Gaildorf begegnet man auch gegenwärtig dem Namen „Grafen von Pückler“. Ja, heißt es – das Eis, das Weltkulturerbe und was sonst noch an diese Adelssippe erinnert … – denn nicht „Fürst Pückler“? Doch, schon, aber eine gräfliche Linie derselben Adelsfamilie war durch Erbtochter-Heirat an Anteile des Limpurger Erbes gelangt, und damit an den Grafentitel. Womit dieser Pücklers-Zweig zugleich den unter Adeligen begehrten Titel „Hochadel“ errang, weil das Gaildorf-Limpurger Fürstentümchen zwar selbst, als es noch relativ ungeteilt war, sehr klein (mit ums Jahr 1800 rund 11.000 Einwohnern auf 6,8 Quadratmeilen) war, seine Bestandteile jedoch reichsunmittelbar, also quasi souverän waren. Solche Souveränität wurde nach dem Ende des Heiliges Römisches Reich Dt. Nation mit dem Prädikat „hochadelig“, äh, geadelt. Das konnten die in Schlesien und an der Neiße wohnhaften Pücklers nicht vorweisen, weil in den damals böhmisch-österreichischen, später preußischen Regionen nur die Kaiser, Kurfürsten oder Könige souverän waren.

Gaildorf, Schwefelkönigs-Mausoleum

Dass auf den Gaildorfer Friedhof überdies noch ein ein imposanten Mausoleum an den „Schwefelkönig von Lousiana“ erinnert, hat dann mehr nichts mit Feudalissmus zu tun, sondern mit „Gewerbefleiß“, wie man im 19. Jahrhundert für Industrie sagte. Der Erfinder der Erdöl-Entschwefelung war nach Nordamerika ausgewandert. Andere Industrie-Könige wirkten und wirken noch immer in der Gegend, etwa „Schraubenkönig“ Reinhold Würth, der 2014 für viel Geld die glänzendste Hinterlassenschaft der Schenken von Limpurg kaufte: Der goldene Schenkenbecher, der schön zeigt, warum die Schenken ihren ungewöhnlichen Namen trugen, ist als Nachbildung im Heimat-, pardon: Stadtmuseum zu sehen.

Ich war 2018 in Gaildorf. Damals belebte den Ort durchaus kräftiger Schwerverkehr, der zeigte, dass dort weiterhin allerhand Industrie, vor allem in der Automobilzulieferung tätig ist. Zu einem kulturhistorischen Besuch lädt Gaildorf (außer zu Wortspielchen) aber dennoch auch ein.

viel los in Gaildorf

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