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Scharzfels schaut Dich an (Bad Lauterberg-Barbis)

scharzfels is watching you

Scharzfels ist nicht im geringsten eine Ortschaft, sondern

eine eindrucksvolle Ruine im Wald nahe des Bad Lauterberger Ortsteils Barbis im niedersächsischen Harz mit angeschlossener, mittwochs bis sonntags tagsüber geöffneter Gaststätte.

scharzfels, kanone (und texttafel)

Zwischen alten Gemäuern steht allerdings eine solche Menge an Texttafeln, wie manche Kleinstädte voller beschrifteter Denkmäler sie nicht zu bieten haben. Wobei es interessante Geschichten sind, die sich um die Ruine ranken. Zum Beispiel eine der zumindest bis zum 20. Jahrhundert dramatischsten deutschen Fluchtgeschichten. Sie ereignete sich in der Zeit, als die entlegene Burg ein Hannoveraner Staatsgefängnis war.

Nachdem die Herzöge des nach der heutigen Dorfstraße Calenberg benannten Fürstentums im 17. Jahrhundert Hannover als neue Hauptstadt gewählt hatten, nahmen sie einen steilen Aufstieg. 1692 wurden sie zu Kurfürsten ernannte, bekamen also den nach dem Kaiser wichtigsten Titel im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (HRR). Überdies erbten sie immer wieder einige Ländchen dazu, zum Beispiel im Harz. Und so wie Burg Calenberg, als sie nicht mehr als Burg benutzt wurde, zum Gefängnis umgemünzt wurde, ging es dann auch dem Scharzfels.

scharzfels, weitere texttafel

Ab 1695 wurde dort eine Frau gefangen gehalten, die in einer Nebenrolle in der „doomed romance between Philip Christoph von Königsmarck and Sophia Dorothea of Celle“, etwas Weltruhm erlangte: Eleonore von dem Knesebeck (1655 -1717), die Kammerzofe jener Sophia Dorothea. Diese Prinzessin war mit dem dann zum Kurfürsten aufgestiegenen Hannoveraner Herzog Georg August verheiratet worden, der überdies ihr Cousin war. Das bescherte ihrem Gatten Lüneburg und das Erbe der Celler Fürsten. Sophia Dorothea wäre im Zuge des immer noch weiteren Aufstiegs 1714 gar zur englischen Königin avanciert, was auch erklärt, warum diese „doomed romance“ im englischen Sprachraum zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär war (und z.B. unter dem Titel „Saraband for Dead Lovers“ zum Roman und Film wurde). Dem Aufstieg der Kurfürstin dazwischen kam die Königsmarck-Affäre, in der also die Kammerzofe eine tragende Nebenrolle spielte. Um die [2023 nicht mehr bestehende] Webseite von-dem-knesebeck.org/ „750 Jahre Knesebeck“ der gleichnamigen Familie zu zitieren: Eleonore

„deckte … sehr geschickt die Affäre der von ihrem Ehemann sehr vernachlässigten Sophie Dorothea mit dem Grafen Königsmarck von 1689-1694. Der Graf wurde im Februar 1694 ermordet. Die Kurprinzessin wurde geschieden und ohne Urteil für den Rest ihres Lebens – 32 Jahre – auf Schloss Ahlden gefangen gesetzt. Sie durfte ihre Kinder nie wiedersehen. Eleonore, die bei allen Verhören keine Aussage machte, wurde 1694 in Springe inhaftiert und 1695 auf die Bergfeste Scharzfeld/Harz verbracht, ebenfalls ohne Prozess und Urteil.“

Wobei sie dort aber immerhin beileiben nicht so lange gefangen gehalten wurde wie ihre Prinzessin in der Lüneburger Heide, und zwar dank des Dachdeckers Veit Rentsch. Anno 1697

„erkletterte [der]  des nachts den für unbesteigbar gehaltenen Felsen, überstieg die Mauer, schlich sich auf den Dachboden und brach ein Loch in die Zimmerdecke der Gefangenen“,

steht schön dramatisch auf einer der Scharzfelser Texttafeln. Etwas verknappt lässt sich Rentschs „abenteuerliche Abseilaktion über 20 m abwärts vom hohen Burgfelsen“ auch im Scharzfels-Artikel der Wikipedia nachlesen.

scharzfels und bad lauterberg-barbis

Eleonore von dem Knesebeck soll zwanzig Jahre später in einem Dorf nahe Braunschweig in Freiheit gestorben sein. Wie weitere gut vier Jahrzehnte später der Scharzfels zur Ruine wurde, die er immer noch ist, beschreiben die Texttafeln dort ebenfalls ausführlich. 1761 kam von Südwesten her eine rund 6.000 Soldaten starke französische Armee und belagerte die von wohl nicht ganz 400 Hannoveranern, darunter „250 Mann Invaliden“, verteidigte Burg am Rande des Kurfürstentums zehn Tage lang. Mit Erfolg:

„In Paris beging man die Eroberung einer der ‚uneinnehmbarsten Festungen Deutschlands‘ mit feierlichem Te Deum“,

berichtet eine weitere Texttafel. Bevor die Franzosen weiter zogen, zerstörten sie die Burg durch „Sprengung und Brand“.  Diese Zerstörung verrichteten sie so gründlich, wie ihre Annahme, diese pompös eroberte Burg sei für ihre Kriegsgegner wichtig gewesen, falsch war.

Das geschah im gelegentlich als erster „Weltkrieg“ bezeichneten Siebenjährigen Krieg, in dem nicht nur quer durch Deutschland 100.000e Soldaten und Zivilisten getötet wurden, sondern die Franzosen auch viele ihrer damaligen Kolonien, vor allem Kanada, an ihren damaligen Kriegsgegner verloren – das von König George II., Sophia Dorotheas Sohn,  in Personalunion mit dem Kurfürstentum Hannover regierte Großbritannien. Auch auf deutschem Boden waren die Franzosen an allerhand Schlachten bis nach in Hessen und eben in den Harz hinein beteiligt. Die Verschuldung durch diesen nicht nur unsinnigen, sondern am Ende auch erfolglosen Krieg, die das Ancien Régime auch in den folgenden Jahrzehnten nicht in den Griff bekam, eher im Gegenteil, wird häufig als einer der Auslöser der Französischen Revolution genannt. Zwar findet die kleine Schlacht um Scharzfels im „Tableaux récapitulatif des batailles/ Théâtre européen“ dieses Krieges in der französischsprachigen Wikipedia gar keine Erwähnung. Aber einen Hauch Anteil könnte die Ruine Scharzfels am Entstehen der Französischen Revolution sozusagen haben.

Es gibt also auch im Internet viel zu lesen, in der Summe noch erheblich mehr (von Sagen wie die vom „Geist auf Scharzfels“ ganz zu schweigen) als auf den Scharzfelser Texttafeln. Doch auratischer als einfach irgendwo liest sich so etwas natürlich an Originalschauplätzen, zumal es im Harz ja auch schön ist.

scharzfels, imposante ruine

Ein Kommentar

  1. Kaiser werden (wie Gott) nicht gewählt.

    Interessant wäre es zu wissen wo die echten Kaiser und gründer Europa’s geblieben sind, als ihr Reich langsam usurpiert wurde von treulosen Vasallen/Bastarde, die sich ihren Lehgüter illegal zugeeignet haben.

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