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Unter der Linde (Coppenbrügge)

Coppenbrügge, was von der Wasserburg blieb

Gipfeltreffen sind seit den Hamburger G-20-Ereignissen im Juli in vieler Munde, aber kaum in positivem Zusammenhang. Eines der wenigen validen Argumente für sie lautet, dass Staatschefs weniger wahrscheinlich Kriege erklären und gegeneinander führen, wenn sie sich persönlich getroffen haben. Vielleicht zum Beispiel hätte Europa so ein Gipfeltreffen im Jahr 1914 gut getan. Ein Beispiel aus dem 17. Jahrhundert

könnte das bekannteste Ereignis in der Geschichte des niedersächsischen Fleckens Coppenbrügge bilden.

Coppenbrügge, Peterlinde

Der Schauplatz dieses Gipfeltreffens im Sommer 1697 steht sogar noch. Es ist Coppenbrügges schönste Sehenswürdigkeit und Träger eines imposanten Superlativs: der deutsche Baum „mit dem ältesten bildlichen Nachweis“, wie eine Texttafel im Ortszentrum einen Präsidenten der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft zitiert. Zwar führt diese Baum-Lobby diese Linde nicht in ihrer „Rekordbäume“-Liste. Doch ist die Linde tatsächlich bereits auf einem Merian-Stich von anno 1654 zu sehen. Heute wird sie mit einem Stammumfang von sechs Metern auf ein Alter von 500 bis 700 Jahren geschätzt – das man hoffentlich noch lange nicht an Jahresringen exakter wird feststellen können.

Coppenbrügge, Texttafel zur Peterlinde
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Und 43 Jahre nach Herstellung des Stichs hatten sich unter ihr drei Vertreter von bis zu vier Staaten mit Schwellenland- bis Großmacht-Status getroffen und den „Damenfrieden von Coppenbrügge“ geschlossen.

Wobei diese Formulierung der Zeit voraus gegendert wurde, denn ein Gipfelteilnehmer war ein Mann: der russische Zar Peter I., später der Große genannt. Zwar reiste er anonym, doch hatte das mit der Anonymität sogar in Coppenbrügge nicht geklappt. Vielmehr hätten „unzähliche Schaulustige“ vertrieben werden, bevor der Zar seiner  Kutsche entsteigen konnte, erfährt man im HeimatBurgmuseum.

Wen der Zar dann unter der Linde traf: Kurfürstin Sophie von Hannover, die erst seit 1692 den im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation prestigeträchtigen Kur-Titel trug und heutzutage vor allem als Shootingstar auf der britischen Thronfolgeliste berühmt ist; beinahe wäre sie selbst auf ihre alten Tage noch Königin von England geworden. Ihr Sohn wurde 1714 als Georg I. König der Weltmacht.

Coppenbrügge, im Heimatmuseum (Zar Peter I.)

Dieser Sohn war in Coppenbrügge nicht dabei, dafür ihre Tochter Sophie Charlotte, die wiederum selbst bereits Kurfürstin war, und zwar von Brandenburg. Nach Sophie Charlotte ist unter anderem der heutige Berliner Stadtteil Charlottenburg benannt. Ihre damalige Coppenbrügger Mission bestand darin, ihrem Gatten den Aufstieg zum König zu sichern. Das gelang, kurz nach dem Treffen: Kurfürst Friedrich III. wurde 1701 zu König Friedrich I., wodurch Brandenburg zu Preußen wurde, da der Königs-Titel an das (nicht zum HRR gehörende) Preußen gebunden war. Der Coppenbrügger Überlieferung zufolge gelang es vor allem, weil der russische Zar unter der Linde geäußert hatte, nichts dagegen zu haben. Der deutsche Kaiser, der im HRR zu dem Zeitpunkt noch keine Könige duldete, hingegen habe eigentlich sehr wohl etwas dagegen gehabt und bereits Truppen mobilisiert. Diese Österreicher seien nach der Einigung unter der Linde aber wieder abgezogen, heißt es in Coppenbrügge.

Was wahrscheinlich leicht übertrieben ist: Brandenburg/ Preußen hatte sich Kriegen der Österreicher und des HRR beteiligt, um die kaiserliche Zustimmung zu erhalten, und der russische Zar hatte seinerseits ebenfalls Kriege im Sinn. Aber etwas dran ist sicher trotzdem an der schönen Geschichte.

Coppenbrügge, Nicolaikirche
Coppenbrügge, Nicolaikirche innen

Die Wahl des Treffpunkts hat nicht allein damit zu tun, dass das heute ruhige (aber per Bahn erreichbare) Coppenbrügge „an einer zur Postkutschenzeit vielbefahrenen Straße“ lag, sondern auch – regelmäßige Leser dieses Blogs könnten es ahnen – mit einer territorialen Besonderheit:

Coppenbrügge war ein Hauptstädtchen, nämlich der fünf Dörfer großen Grafschaft Spiegelberg. Zwar waren die Spiegelberger Grafen 1494 ins weniger kleine Pyrmont umgezogen, das sie ererbt hatten, und 1557 ausgestorben (als Graf Philipp von Spiegelberg und Pyrmont in der Schlacht bei Saint-Quentin in Nordostfrankreich fiel, denn international umtriebig waren sie). Daraufhin hatte Coppenbrügge seine Residenzstadtfunktion verloren und diente nur noch als Verwaltungssitz für völlig anderso wohnende Erben: die Grafen zur Lippe, Grafen aus dem thüringischen Gleichen und schließlich die von Nassau-Diez. Letztere wiederum residierten 1697 schon längst nicht mehr in Diez an der Lahn, sondern in den Niederlanden, deren Erbstatthalter-Titel sie innehatten. Die Niederlande waren seinerzeit auf den Weltmeeren global unterwegs definitiv eine Weltmacht. Und der Zar war in der Hauptsache auf dem Weg nach Amsterdam, um den Schiffsbau zu erlernen (was später durch eine Oper dramatisiert wurde und daher noch relativ geläufig ist …). Insofern sollte sich von einer Art frühem Gipfeltreffen unter der Coppenbrügger Linde durchaus reden lassen.

Coppenbrügge, Gedenktafel aus Kaliningrad
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Das Wissen, dass unter dem Baum der Zar und die Kurfürstinnen gesessen haben sollen, hat sich in Coppenbrügge erhalten. Er wurde später zur Sehenswürdigkeit „Peterslinde“ umdeklariert, was sich als Vorzug erwies, als erst 1819 das nahe, nur 30 Kilometer entfernte Hannover die Spiegelberger Herrschaft übernahm. Die Hannovaner hatten erst mal nichts Besseres zu tun als die jahrhundertealte Wasser-Burg weitgehend abzureißen. Bloß eine schön anzusehende Toranlage, das ehemalige Amtsgericht, das das Heimatmuseum beherbergt, und die sehenswürdige Linde blieben stehen.

An der Toranlage bekräftigt seit 1997 eine Gedenktafel, die eine Delegation aus Kaliningrad mitgebracht hatte, Coppenbrügges Bedeutung für die russische Geschichte. Und zufällig stellt dieses Kaliningrad, das seinerzeit preußische (aber noch nicht deutsche) Königsberg, gegenwärtig – als russisches Territorium zwischen Nato- und EU-Mitgliedsstaaten – eine erheblich irrere Exklave dar als Coppenbrügge, das zeitweise niederländische Ländchen im heutigen Niedersachsen, jemals war.

Ith bei Copenbrügge

Seehr viel sonst gibt es in Coppenbrügge nicht zu sehen, eine in Teilen sehr alte, zum Teil nach 30-jähriger-Kriegs-Zerstörungen neugebaute Kirche – und besonders den Ith, einen schön wanderbaren Berg (von dem manche Heimatforscher meinen, es sei der Berg aus der Sage vom „Rattenfänger von Hameln“, die definitiv noch weltbekannter ist als der Damenfriede von Coppenbrügge).

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