Irre ehemalige Herrschaftsstrukturen gab es so gut wie überall im alten Heiligen Römisches Reich Deutscher Nation. Eine der irreren
bestand darin, dass das kleine Fürstentum Anhalt-Zerbst rund um die Stadt Zerbst fast eineinviertel Jahrhunderte lang, bis es 1793 mit dem Tod seines letzten Herrschers von den Landkarten verschwand, die rund 334 Kilometer Luftlinie entfernte, ebenfalls kleine Herrschaft Jever rund um die gleichnamige Stadt beherrscht hat.
Das hatte, wie Herrschaft überhaupt viele Jahrhunderte lang, Erbschaftsgründe. Für die Jeveraner war es nicht unbedingt nachteilig. Was etwa den letzten Zerbster Herrscher, den kleinen Bruders Katharinas der Großen betrifft, so wird in Jever noch kolportiert (z.B. im im Schlossmuseum für 3,80 Euro zu habenden Büchlein „Eine friesische Stadt mit Geschichte“), dass die Jeveraner diesem auch bei ihnen nicht sehr geschätzten Friedrich August, als er sich einmal auf den weiten Weg zu ihnen gemacht hatte, „einen Kurier mit der Nachricht, in Jever sei die Pest ausgebrochen“, entgegen geschickt hätten. Weshalb dieser Fürst dann überhaupt niemals in Jever gewesen war.
Wie schon angedeutet, weilte Friedrich August allerdings auch nur selten in Zerbst, sondern meist „im Auslande“ (wobei solch Ausland seinerzeit eben gleich hinter Zerbst begann). Die leicht geheimnisumwitterten Gründe scheinen damit zu tun zu haben, dass der Zerbster Fürst im und nach dem Siebenjährigen Krieg vor allem mit Russland, wo seine Schwester herrschte, Frankreich und Österreich sympathisierte, also Mächten, die gegen Preußen koaliert hatten, in dessen unmittelbarer Nähe dummerweise aber sein Ländchen lag.
Ganz gut gelebt hat er ganz woanders dennoch, vor allem im wiederum weit entfernten Basel, und dabei aus seinen Ländchen sehr wohl standesübliche Vorteile gezogen. Wie damals unter deutschen Fürsten zur Geldbeschaffung üblich, verkaufte er zwischen „1778 bis 1783 zwei Regimenter mit zusammen 1152 Mann“ als Soldaten an die englische (und Hannoveraner) Krone für den Einsatz in dem Krieg, der (weil England ihn dennoch verloren hat) als Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg bekannt ist. Und in der Hinsicht hat Friedrich August dann doch Spuren bis heute in Jever hinterlassen. Die Stadt liegt zwar nicht, anders als bekannte Bierwerbung suggeriert, an der Küste und lag es schon damals nicht, die war wiederum im Ausland (bizarrerweise war Ostfriesland damals, ebenfalls ohne Zusammenhang, auch preußisch …), aber doch so nahe daran, dass die angeworbenen bzw. teils gewiss gepressten Soldaten dort erst mal einquartiert werden konnten, bevor es über den Atlantik ging. Die Kaserne, die Friedrich August errichten ließ, steht als einer der „ersten originären Kasernebauten Norddeutschlands“ noch und gehört heute zum örtlichen Mariengymnasium.
Das heißt übrigens wegen einer anderen Jeveraner Landesherrin, Fräulein Maria, so. Die war die Tochter des letzten lokalen Häuptlings Edo Wiemken – jawohl, bis ungefähr zur Neuzeit wurde Jever von Häuptlingen beherrscht. Wobei nach Friedrich Augusts Tod in Luxemburg, durch den das Fürstentum Anhalt-Zerbst final erlosch und von den Landkarten verschwand, weil andere Anhalter Fürsten dessen Gebiet erbten, Jever wiederum anders vererbt wurde: an seine Schwester. Katharina die Große hat natürlich genau so oft wie ihr Bruder dort geweilt, gar nicht. Schließlich wäre der Weg von St. Petersburg aus noch viiiel weiter gewesen. Aber sie war die Landesherrin … Faszinierend ist Jevers Herrschaftsgeschichte also auch jenseits der Zerbster Episode, unter anderem, weil der Ort im Vergleich zu vielen anderen überdurchschnittlich oft von Frauen regiert wurde.
Einiges darüber zu sehen gibt es im Museum in dem schön unprätenziösen Schloss, das im Unterbewusstsein mancher Biertrinker verankert sein dürfte, da die Silhouette seines charakteristischen Turms dezent das Etikett des circa zweitbesten deutschen Fernsehbieres ziert. Das wird ja auch in Jever gebraut.