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Wilde Geschichte (Mindelheim)

Mindelheim, Marienplatz mit Mariensäule, Rathaus und bunten Häusern

Mindelheim sieht erst mal aus wie viele bayerische Orte: An beiden Seiten der Hauptstraße durch die Innenstadt stehen große Stadtor-Türme. In der Mitte liegt der Markt- bzw. Marienplatz mit besonders bunten, Ziergiebel-geschmückten Häusern.

Und natürlich ragen außerdem Kirchtürme aus dem Städtchen empor; im Vergleich fällt vielleicht auf, dass die großen keine Zwiebelkirchtürme sind. Mindelheim ist eine Stadt der Türme, so wie es vor allem im süddeutschen Raum viele Städte der Türme gibt (das 25 Kilometer entfernte Memmingen etwa ist gleich schon wieder eine …).

Mindelheim, Oberes Tor an der Maximilianstraße
Mindelheim, Unteres Tor und Jesuitenkirche in der Maximilianstraße

Wie vielerorts fassen Texttafeln die Stadtgeschichte zusammen, etwa am Oberen Tor und vor dem historischen und historistischen Burgschloss über der Stadt, der Mindelburg. Das Lesen lohnt, denn Mindelheim besitzt eine der irrsten Herrschaftsgeschichten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation – des Herrschaftsgebildes, das (anders als andere deutsche Reiche) fast 1000 Jahre lang gehalten hatte, oder sogar einen Tick länger, wenn man es auf Karl den Großen zurückführt. Dieses Mindelheim lässt mindestens erahnen, warum das HRR inzwischen, da die Zahl der europäischen Staaten wieder steigt, international fasziniert, fast 900-seitig beschrieben und „unquestionably better than many that succeeded it“  gefunden wird.

Im 14. Jahrhundert gehörte zum Beispiel gehörte es den Herzögen von Teck:

„Herzog Friedrich war ein sehr streitbarer Herr; als Oberbefehlshaber der Augsburger Truppen kämpfte er 1372 gegen Bayern; im Bayerischen Sold belagerte er 1377 Kaufbeuren, mußte aber mit einer Verwundung am Arm wieder abziehen, da die Memminger zum Ersatz heranrückten und seine eigene Herrschaft verheerten“,

heißt es im ausführlichesten Ablauf, den ich online fand.

Mindelheim, Georg von Frundsberg als Figur am Rathaus

Memmingen war jahrhundertelang eine freie Reichsstadt, was Mindelheim niemals war. Es wurde dann weitervererbt und -verkauft und gelangte an die von Frundsbergs. Georg von Frundsberg ist als „Vater der Landsknechte“ bzw. „Kriegsunternehmer“ (Wikipedia) noch etwas bekannt, seine Aussprüche „Viel Feind‘, viel Ehr‘!“ und „Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!“ sind geläufig oder dürften es wieder werden (denn letzteren tat er auf dem Wormser Reichstag 1521 zu Martin Luther). Dieser Frundsberg wurde im 19. Jahrhundert in die Liste der „berühmtesten, zur immerwährenden Nacheiferung würdiger Kriegsfürsten und Feldherren Österreichs“ aufgenommen, da schon zu seiner Zeit die HRR-Kaiser fast immer auch die österreichischen Herrscher waren. Seit 1903 ist er als steinerne Figur am Rathaus am Mindelheimer Marktplatz verewigt. Dass Mitte des 20. Jahrhunderts eine SS-Panzer-Grenadier-Division nach ihm benannt wurde, lässt sich ihm selbst natürlich nicht vorwerfen. Insofern wird noch im 21. Jahrhundert in Mindelheim im seltenen dreijährlichen Rhythmus das Frundsbergfest begangen, das nächste Mal im Sommer 2015.

Unter den Erben der Frundsbergs gab es im 16. Jahrhundert erneut Streit um den Mindelheim. Eine der Parteien waren die Fugger – der Inbegriff des Frühkapitalismus im deutschsprachigen Raum. Ihr Name ist vor allem mit Augsburg verknüpft. Den jahrhundertelang üblichen Impuls, mit viel Geld Landbesitz und Herrschaftsgebiete zu erlangen, konnten sie dort allerdings nicht erreichen. Schließlich war Augsburg eine freie und sichtlich reiche Reichsstadt, in der sich nicht einmal die katholischen Fürstbischöfe halten konnten. Sie regierten ihr vergleichsweise großes Herrschaftsgebiet, zu dem Mindelheim zeitweise auch gehört hatte, von Dillingen an der Donau aus. Aber kleinere Ortschaften wie Kirchberg an der Iller eigneten sich die Fugger an. Mindelheim gehörte ihnen nicht lange, denn darum stritten sie mit den Herren von Maxlrain, deren Name wiederum vor allem durch eine Schlossbrauerei noch präsent ist. Weil zumindest in den kleinen Herrschaftsgebieten die Strukturen des HRR funktioniert hatten, wandten sich Fugger und Maxlrainer an die Reichs-Instanzen, die Mindelheim schließlich keinem von ihnen zusprachen:

„In den endgültigen Besitz der Mindelburg kamen weder die Fugger noch die Maxlrainer, sondern als lachender Dritter Herzog Maximilian von Bayern, dem Wolf Veit von Maxlrain 1614 seine Ansprüche abtrat und der dann die Entscheidung auf die Spitze des Schwertes steckte. „

Mindelheim, Turm der Stadtpfarrkirche St. Stephan
Mindelheim, noch'n Turm (Einlasstor)

Die bayerischen Fürsten holten erst mal die Jesuiten für die Gegenreformation herbei. Anschließend hätte nicht mehr viel passieren müssen. Schließlich wurde mit dem Ende des HRR in der Napoleonszeit die ganze Umgebung auch bayrisch. Einen Schlenker hat Mindelheims Geschichte aber noch gemacht: Von 1705 bis 1714 bestand ein Reichsfürstentum Mindelheim. Das hing mit dem spanischen Erbfolgekrieg und der Internationalisierung des HRR im und nach dem 30-jährigen Krieg zusammen. Seit 1648 waren Schweden und Franzosen, die hauptsächlichen Gewinner dieses Krieges, offizielle Schutzmächte des Westfälischen Friedens. Wenn Frankreich also mit Großbritannien um die Aufteilung der Welt (von der bis dahin ein großer Teil noch zum spanischen Imperium gehört hatte), also die Kolonialisierung kämpfte, geschah das beinahe immer auch im HRR. Im Spanischen Erbfolgekrieg hatten Franzosen und Bayern (deren Kurfürst damals auf einen Königstitel scharf war, so wie seine Kollegen aus Sachsen und Brandenburg…) gegen eine sehr große Allianz aus Briten, Österreichern, Preußen-Brandenburgern, Niederländern und der HRR-Armee gekämpft.

Mindelheim, Duke of Marlborough a.k.a. Herzog von Marleburg (Heimatmuseum)

Eine entscheidende Schlacht an der Donau hatte britischerseits John Churchill, 1. Duke of Marlborough, geleitet, und dafür belohnte ihn der Kaiser, der zugleich österrreichischer Erzherzog war, reichs-seits mit dem schönen Titel des Fürsten von Mindelheim. Den Ort hatte er den besiegten gegnerischen Bayern weggenommen und anderweitig als Lehen verliehen. (Und dass sich im ursprünglicheren Bayern dann ein regelrechter Volksaufstand gegen die österreichischen Besatzer erhob, wäre eine völlig andere Geschichte..).

Die kurze Ära des Reichsfürstentums Mindelheim versinnbildlicht die HRR-Internationalisierung vielleicht am allerbesten. Johan Herzog von Marleburg, wie sein Name für die neuen Untertanen eingedeutscht wurde, war nur einmal gegen Ende seiner Reichsfürstenzeit kurz dort gewesen:

„Marlborough visited the principality only once in his life, in 1713, and stayed a mere four days. However he was well received by his subjects. He wrote of his visit ‚I liked much better than expected but not so, as to think of living there'“,

schreibt die englischsprachige Wikipedia mit feinem Understatement. Über Titel und Wappen dürfte er sich gefreut haben; ansonsten hatte er einen Verwalter eingesetzt. Als er sein deutsches Fürstentum nach dem nächsten Friedensschluss verlor, war es ihm zweifellos gleichgültig, zumal er Titel und Wappen behielt.

Mindelheim, kleiner Zwiebelkirchturm (Gruftkapelle vor der Stadtpfarrkirche)

Der Friedensschluss 1714 war der von Rastatt, der den Spanischen Erbfolgekrieg erst beendete. Das heißt auch, ungeheuer entscheidend war die Schlacht von 1704 noch gar nicht – außer für Bayern. Dass sie dennoch als so entscheidend gilt, hängt mit Marlboroughs Nachfahren Winston Churchill zu sammen, der 1933 eine Biografie seines Ahnen geschrieben hat, „Marlborough: His Life and Times“. Das Zitat daraus, dass sich 1704 „die politische Achse der Welt“ verschoben habe, verwenden süddeutschen Geschichtsmuseen gerne. Was Churchill meinte: dass England damals erst richtig zur Weltmacht wurde (und dass diese Achse sich dann erst in seiner Premierminister-Amtszeit, als Folge des Zweiten Weltkriegs, erneut verschob, obwohl England zum Glück Nazi-Deutschland mit besiegt hatte, wäre erst recht eine ganz andere Geschichte …).

Mindelheim jedenfalls wurde 1714 wieder bayerisch. Im späten 18. Jahrhundert, als die Jesuiten auch katholischen Herrschern nicht mehr genehm waren, wandelten die Kurfürsten das Jesuitenkolleg in ein Jagdschloss um. Heute enthält das Gebäude die staatliche Berufsschule und diverse Museen, denn außer „Stadt der Türme“ ist Mindelheim auch „Stadt der Museen“. Und bayerisch ist es noch immer.

Mindelheim, alte Bierkrüge im Heimatmuseum

Wer versucht hat, diese wilde Geschichte mit spätmittelalterlichen Landsknechten und Frühkapitalismus, mit englische Feld- und Schlossbrauerei-Herren zusammenzufassen, kann es dem nicht überaus häufig geöffneten Mindelheimer Stadtmuseum (nicht im alten Jagdschloss, sondern in einem noch in Franziskanerinnenkloster) nicht verdenken, dass das es aus den 1920er Jahre überlieferten Holztafeln überlässt, die chronologische Geschichte zu schildern, und lieber einfach Objekte zeigt. Einen Eindruck von Buntheit vermitteln sie ebenfalls.

Die eingangs erwähnte, detaillierte Übersicht zur Stadtgeschichte stellt übrigens der Sachon-Verlag bereit, der – in der Verlagslandschaft auch ziemlich einzigartig – in der Mindelburg über Mindelheim ansässig ist und dort nicht nur einen schönen, sondern mit seinen Fachzeitschriften wie „Brauindustrie“ und „Der Doemensianer“ (nach eigenen Angaben das „Fachorgan für das Brau-, Malz- und Getränkemanagement im In- und Ausland“) wohl auch sinnvollen Standort hat.

Mindelheim, Bahnhof (und Logistikzentrum eines Schuhherstellers)

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