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Interessante Ruinen (4): Stolpen

Die Burg überm kleinen Ort Stolpen in der nördlichen Sächsischen Schweiz war auch mal Schloss und vor allem Festung und wurde daher oft zerstört – zum Beispiel 1813 von Kaiser Napoleons Truppen auf ihrem Rückzug aus Russland und 1756 von den Preußen im Siebenjährigen Krieg. In Friedenszeiten wurde sie 1727 von den Sachsen selbst bloß leicht beschädigt: beim experimentellen Kanonenbeschuss, um die Durchschlagskraft der eigenen Kanonen beziehungsweise die Widerstandsfähigkeit des damals härtstesten bekanntesten Materials testen zu lassen. Der Basalt, auf dem die Burgschlossfestungs-Ruine steht (und der für Stolpen, wo er bis 1890 abgebaut wurde, eine wichtige Rolle spielte und spielt), war stärker, die Mauern nahmen kaum Schaden.

Wiederaufgebaut wurde die Ruine ebenfalls öfters, beispielsweise 1859 auf Anordnung König Johanns von Sachsen und in den 1930ern, also in der Nazizeit. Das geschah jeweils zu touristischen Zwecken. Der Tourismus war und ist immer verknüpft mit dem ähnlich unfreiwilligen wie langwierigen Aufenthalt der allerbekanntesten Stolpenerin: Anna Constanze Gräfin von Cosel sorgte als prominenteste und neun Jahre lang wohl auch mächtigste unter den zahlreichen Mätressen des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August des Starken für Aufsehen. „Maîtresse en titre“, lautete der offizielle Titel sozusagen. Das, und dass sie anschließend ein knappes halbes Jahrhundert lang bis zu ihrem Tod mit 84 Jahren in Stolpen gefangen gehalten wurde (und auch während des von August selbst beaufsichtigten Beschusses im Johannis- bzw. dann Cosel-Turm saß, auf den allerdings nicht geschossen wurde) befeuerte natürlich Berichte und Gerüchte.

Deswegen wurde die Gräfin oft gemalt und wurden ihr Schicksal sowie die vielen, von ihr und später vielen anderen geführten Intrigen oft beschrieben. Interessant sind auch die sehr unterschiedlichen Vorzeichen, unter denen das geschah. Wichtig war beispielweise der polnische Schriftsteller Józef Ignacy Kraszewski. Im 19. Jahrhundert, in dem es bekanntlich gar keinen polnischen Staat gab, weilte er als sächsischer Staatsbürger (denn eine deutsche Staatsbürgerschaft gab es damals auch nicht …) in Dresden und schrieb dort auf polnisch Historienromane, die auch übersetzt wurden. Sein „Am Hofe August des Starken“ erschien gerade beim „Projekt Gutenberg“.

Unter den gut 100.000 Besuchern im Jahr seien viele Polen, sagte man mir in Stolpen. Viele Bürger der einstigen DDR sind natürlich auch darunter. Vor allem auf Kraszewski basierte 1980er-Jahre-Fernsehserie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ – die als Produktion des DDR-Fernsehens kein sehr langes Nachleben hatte. Dabei sagt die enorm aufwendig produzierte Serie noch immer ziemlich viel darüber aus, wie Deutschland zwischen dem lebensfrohen, absolutistisch-verschwenderischen Protzbarock Sachsens einerseits und ähnlich nüchternem wie militaristischem, dabei vergleichsweise effizientem und um Rechtsstaatlichkeit bemühten Preußentum andererseits wurde, was es in späteren Jahrhunderten eben wurde und teilweise vielleicht noch immer ist …

Jedenfalls säumen gebrochene Rezeptionsgeschichten das Nachleben der Gräfin Cosel, und im 21. Jahrhundert verdiente da eigentlich ein weiterer Aspekt frischer Aufmerksamkeit: Fast alles, was lange Zeit über sie geschrieben wurde, schrieben Männer, die mehr oder weniger vom lange gängigen Männer-machen-Geschichte-geprägt waren. Gewiss könnte die wesentlich vom Kampf um Selbstbestimmtheit bestimmte Geschichte der Gräfin heutzutage wieder anders gedeutet werden als es in den patriarchialischeren Vergangenheiten. Die Geschichte der Gräfin Cosel könnte eine Neuinterpretation vertragen. Wie wär’s, MDR?

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