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Palast ohne Schloss (Schwedt)

Schwedt, KulturpalastWas immer man von der alten DDR sonst hält: Übel sah ihr Palast der Republik in Ost-Berlin mit seinen bronzierten, im Sonnenlicht schön schimmernden Fensterfronten nicht aus – zumal im Zusammenspiel mit dem genauso gewöhnungsbedürftigen wilheminischen Protz des Berliner Doms und mit dem Barock des Zeughauses aus noch einer anderen Epoche, die ihm gegenüberstanden. Wie auch immer, der „Palast“ ist längst abgerissen; an seiner Stelle wird das ein paar Jahrzehnte lang verschwundene Stadtschloss wieder aufgebaut.

Wo ein ähnliches sozialistisch-realistisches Kulturzentrum weiterhin steht: in Schwedt an der Oder.

Dort, wo heutzutage die Uckermärkischen Bühnen ins Theater einladen, hatte sogar ebenfalls ein altes Schloss gestanden, das ebenfalls erst in der DDR-Ära restlos entfernt wurde. In diesem Schloss hatten ab 1680 über 100 Jahre lang die semi-selbstständigen Markgrafen von Brandenburg-Schwedt residiert.

Eigentlich hing der Aufstieg Brandenburg-Preußens zur Großmacht auch damit zusammen, dass dieser Staat anders als viele andere nicht in immer kleinere Kleinstaaten geteilt wurde, solange er existierte. Aber nur eigentlich. Die zweite Frau des „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm, die Holsteinerin Dorothea, hatte für die Kinder aus ihrer Ehe doch eine kleine Markgrafschaft mitten im brandenburgischem Gebiet begründet.

Schwedt, "toller Markgraf" auf SichtbetonFür Brandenburg-Schwedt, dessen Gebiet größerenteils rechts der Oder im heutigen Polen lag, hatten sie zwar keine außenpolitischen und militärischen Rechte. Im Zusammenhang der bekannten Haupt- und Staatsaktionen und vor allem Kriege des großen Preußen im 18. Jahrhundert scheinen die Schwedter Herrscher keine Rolle gespielt zu haben. Aber sie konnten den klangvollen Markgrafen-Titel tragen, sich Schloss, Residenzstadt und Hofstaat aufbauen und besaßen die fürs Souveränitätsgefühl wichtige Blutgerichtsbarkeit.

Schwedt, ehemalige reformierte KircheDer relativ bekannteste Schwedter Markgraf, der Friedrich-Wilhelm-Enkel Friedrich Wilhelm (die preußischen Herrscher hießen ja fast alle Friedrich, Wilhelm oder Friedrich Wilhelm …), erhielt irgendwann im 18. Jahrhundert gar den noch klangvolleren Frühstücksdirektor-Titel eines  „Erzjägermeisters“ des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Im heutigen Schwedt ist er als „Toller Markgraf“ präsent, wobei das Adjektiv „toll“ einen Bedeutungswandel durchgemacht hat: Seinerzeit, als Untertanen weniger Bürgerrechte besaßen, erst recht dem Adel gegenüber, war es weniger positiv gemeint als es in der Gegenwart gerade klingt …

Schwedt, bunte Plattenbauten und BacksteinneogotikDas Schloss blieb stehen, auch als die Schwedter Nebenherrschaft mit dem Tod von Friedrich Wilhelms Bruder 1788/ 89 verschwand. Wie das in Berlin-Mitte wurde es selbst im Zweiten Weltkrieg nicht final zerstört – obwohl in Schwedt 1945 letzte Reste der Nazi-Wehrmacht unter dem berühmt-berüchtigten Otto Skorzeny (der lange nach seinem Tod 1975 im Franco-Spanien immer noch geheimnisumwittert bleibt; aber das wäre eine völlig andere Geschichte …) die Oderfront verteidigen sollten. Dabei wurde die Stadt zu 85 Prozent zerstört, was man ihr auch ansieht.

Schwedt, Sandsteinstatue im Hugenottenpark Schwedt, Sandsteinstatue (Hund und Herstellernachweis)Die Schlossruine ließen die DDR-Autoritäten anno 1962 abreißen, zumindest zum Teil auch aus symbolisch-antifeudalistischen Gründen.

Heute halten Schwedter 16mm-Aufnahmen der Sprengung via Youtube im Internet bereit. Wenn der RBB-Fernsehbeitrag dort wiederum zeigt, wie Kleindarsteller der Gegenwart in bunten Barockkostümen durch den Schlosspark wandeln, besitzt auch das natürlich Symbolcharakter.

Man sieht in Städten wie Schwedt gut, wie das Pendel hin und her schwingt: In der DDR-Ära wurde der Feudalismus nicht nur ideologisch bekämpft, sondern zunächst durch Bau- und sogar Sprengmaßnahmen. Im Anschluss an die DDR-Zeit avancieren die zuvor verfemten Kleinstaaten-Fürsten wieder zu local heroes, schon weil ihre Kostüme schön aussehen und sich für Erlebnisführungen eignen, die Touristen der Gegenwart anlocken. Beides ist historisch verständlich, und die Grenzen sind gar nicht so trennscharf: Die Sandstein-Statuen griechischer Götter aus dem ehemaligen Schlosspark, der jetzt „Europäischer Hugenottenpark“ heißt, sind nicht die Originale, die der (Berliner) Hofbildhauer Carl Philipp Glume einst im 18. Jahrhundert herstellte, sondern wurden nach deren Mustern neu angefertigt – aber schon in den 1970ern, während der DDR-Ära. Deswegen wirken sie im 21. Jahrhundert längst wieder authentisch.

Der Kulturpalast von 1978 setzt mit den Uckermärkischen Bühnen sozusagen die Tradition des Markgrafentheaters fort: Der letzte Markgraf Friedrich Heinrich hatte ein Faible weniger für die Jagd als fürs Theater und ließ in der damaligen Orangerie schon welches aufführen.

Schwedt, breite LindenalleeAuf das Theater führt eine breite und überdies beidseitig von breiten Grünstreifen gesäumte sozialistisch-realistische Prachtstraße im Stil der Berliner Karl-Marx-Allee zu: die Lindenallee, die vorübergehend Leninallee hieß. Schwedter sagen, sie sei schon früher breiter als Unter den Linden in Berlin gewesen. Als einziges Rokokorelikt springt die ehemalige reformierte Kirche ins Auge. Ansonsten prägen Schwedts Stadtbild ostentativ bunte Plattenbauten sowie Bauten der späteren Preußenzeit, die inzwischen stilecht wiederhergestellt sind, aber schon in ihrer Entstehungszeit nicht ungeheuer spektakulär waren.

Pfiff fügt eine ziemlich einzigartige dritte Dimension hinzu: im Wortsinn große, oft illusionistische Malerei auf den hohen Wänden der DDR-Bauten. Das ist eine weitere epochenübergreifende Tradition: In den 1960ern wurde sie begonnen, in der unmittelbaren Gegenwart wird sie fortgeführt.

Schwedt, große WandmalereiWas man sonst noch über Schwedt wissen wollen könnte, das übrigens längst nicht mehr unmittelbar an der Oder liegt, sondern am Kanal namens Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße (der parallel zur Oder verläuft):

Zu den aus wirtschaftlicher Sicht guten Ideen der Markgrafschafts-Gründerin Dorothea gehörte es, Tabak anbauen zu lassen. Das hat in der Uckermark tatsächlich funktioniert und dem heutigen Ortsteil Vierraden „über 300 Jahre … Wohlstand“ eingebracht. Davon zeugt aktuell noch ein Tabakmuseum. Ein besuchenswertes Stadtmuseum in Schwedt gibt es außerdem.

Und einige ehemalige Tabakspeicher sind dort ebenfalls zu sehen. Womöglich aus solchen Gründen gibt es auch noch eine ehemalige Mikwe, also ein jüdisches Ritualbad. Es und das Fachwerkhäuschen daneben wurden 1938 in der Pogromnacht, in der in Schwedt wie vielerorts die Synagoge zerstört wurde, womöglich deswegen nicht abgebrannt, weil damals in unmittelbarer Umgebung Tabakspeicher standen und die Nazis das Übergreifen des Feuers fürchteten.

Schwedt, MikweUnd auch wenn Schwedt nach eigenen Angaben weiterhin „zu den großen Industriestandorten in Deutschland“ gehört, war es zu DDR-Zeiten ein größerer gewesen. Deshalb zählt es ferner zu den Städten, die bereits dezidiert verkleinert wurden, weil sie unter Nach-Wende-Bedingungen zu groß waren. Darüber berichtete etwa Spiegel Online 2006.

Das Schwedt von heute zeigt, dass das keine ganz schlechte Idee war.

Schwedt, kleiner Markgraf am Oderkanal

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