Wer findet, dass Kontraste helfen, etwas kenntlich zu machen (was genau, bleibt ja doch immer im Auge der Betrachter liegen), sollte sich das kleine Schloss in Berlin-Pankow ansehen. So scharfen Kontrasten aus lange nacheinander gefolgten, abgeschlossenen Epochen begegnet man nicht oft auf so engem Raum nebeneinander.
Eigentlich heißt das äußerlich unspektakuläre kleine Schloss eher „Schönhausen“ und erklärt somit den Namen der recht bekannten Schönhauser Allee im südlich gelegenenen Stadtbezirks-Stadtteil Prenzlauer Berg.
Das Schloss spielte in zwei ziemlich unterschiedlichen Staaten jeweils einmal eine größere Rolle als Residenz, und es wurde im Lauf seiner Geschichte zweimal für Gesprächsrunden genutzt, die sich dann als ziemlich entscheidend erwiesen.
Die erste war ein „Dignitäts Conseil“ des Kurfürsten Friedrich III., das dessen „Erhebung zum ersten preußischen König Friedrich I. im Jahre 1701 strategisch“ vorbereitete, informiert die Schloss-Webseite. Das strategische Problem hatte darin bestanden, dass seinerzeit im Heiligen Römischen (Kaiser-)Reich Deutscher Nation keiner zum König aufsteigen durfte. Aus heutiger Sicht sind solche Titel- und Rangfragen natürlich längst gleichgültig, so wichtig sie für absolutistische Fürsten auch waren. Diese führte dann dazu, dass dieses Friedrichs Staat rund um Berlin (und dann auch seine Untertanen) den Kunstnamen eines eher kleinen, entlegenen, nämlich außerhalb des HRR gelegenen neuen Landesteils bekamen. Der Staat und seine Einwohner hießen fortan „Preußen“ – ein Name, der in den zweieinhalb folgenden Jahrhunderten stark wachsende Bedeutung bekam (und anschließend komplett verschwand, was vielleicht dazu führte, dass dieses Preußen komplleter verschwundener erscheint als es ist …). Heute heißt das Ländchen wieder, wie es vor 1701 hieß: Brandenburg.
In dieser preußischen Zeit diente das Schloss einmal als Sitz einer Königin – weil ihr immer anderswo residierender (oder Krieg führender) Mann mit ihr nichts zu tun haben wollte. Weil es sich bei ihm um Friedrich den Großen bzw. den II. (mit dem Königstitel begann die Zählung von vorn …) handelte, über den schon seit Jahrhunderten viel geschrieben und geforscht wurde und wird, hatten und haben unterschiedliche Generationen auch über diese Königin Elisabeth Christine und darüber, wie unglücklich sie war, unterschiedliche Ansichten. Wohl gar nicht soo unglücklich war sie, meint das Schlossmuseum heute. Inmitten ihres Hofstaats mit häufig, teilweise in den nächsten König Friedrich Wilhelm II. verliebten Hofdamen könnte sie sich ganz wohl gefühlt haben. Die Schloss-Ausstellung zeigt als erstes Objekt Elisabeth Christines Sänfte. Für so hochrangige Persönlichkeiten habe es damals als unschicklich gegolten, öffentlich zu Fuß zu gehen. Es gibt also Interessantes zu sehen – auch wenn sich darüber streiten ließe, ob ursprüngliche Raumeindrücke des Rokoko derart akribisch rekonstruiert werden müssen, wie es in Pankow geschah.
Elisabeth Christine überlebte ihren Gatten recht lange und wurde später auch höher geehrt als zu seinen Lebzeiten. Anschließend wurde das Schloss anderthalb Jahrhunderte weniger genutzt, bis nach dem Beschluss der Alliierten, Preußen namentlich vollkommen abzuschaffen, die sowjetischen Weltkriegssieger die schönen, kaum zerstörten Wohnhäuser der Umgebung für sich und aus Moskau zurückgekehrte deutsche Kommunisten beschlagnahmten. Das Schloss selbst wurde der Sitz des ersten und letzten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck.
Nachdem es nach Piecks Tod 1960 keine Staatspräsidenten mehr gab (sondern stattdessen einen mehrköpfigen Staatsrat), wurde es als Gästehaus der DDR genutzt. Und das muss man der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg lassen: Die sachlichen, von farbstark gefliesten Badezimmern ergänzten Herren- und Damen-Schlafzimmer dieser Epoche wurden, wie auch Piecks Präsidenten-Arbeitszimmer, genauso stilecht rekonstriert wie die feudalistischen Rokoko-Zimmer.
Ganz in der Nähe lassen sich am Majakowskiring die, nun ja: bürgerlichen Häuser anschauen, in denen damals Pieck und Otto Grotewohl, der erste DDR- Ministerpräsident, wohnten. In dieser Zeit verwendeten die im Westen regierenden Rheinländer „Pankow“ als Metonym für die DDR an sich und sprachen es angeblich „Pankoff“ aus. Diese Verwendung trug zur landesweiten Bekanntheit des Berliner Stadtteils bei. Bzw. trägt sie es über den Umweg, dass ein Popsänger mit unbestreitbaren historischen Verdiensten mit seinem Lied (vimeo.com) über einen Sonderzug dorthin seinen größten Erfolg hatte, immer noch. Wobei Udo Lindenberg die Ortsnamen-Aussprache ja korrekt sang.
Ein großartiger Treppenwitz der deutschen Geschichte ist im Schloss auch noch zu sehen: Für den erwarteten Staatsbesuch des persischen Schahs Reza Pahlewi, dessen Besuch im benachbarten West-Berlin ein Jahrzehnt zuvor eine wichtige Zäsur der westdeutschen Nachkriegsgeschichte angestoßen hatte, wurde in den späten 1970ern die Gästezimmer liebevoll vobereitet. Davon zeugt ein einen Fisch verzehrender fetter Porzellan-Pelikan, den die Meißener Porzellanmanufaktur der DDR-Ära in Anlehnung ans Rokoko herstellte. Allerdings hat der Schah dann die DDR gar nicht mehr bereist. Er „sagte den Besuch wenige Wochen vor dem Termin wegen der Unruhen in seinem Land ab“ (Tagesspiegel). Im nächsten Jahr wurde er tatsächlich zuhause in Persien, das seitdem Iran heißt, von der Islamischen oder islamistischen Revolution verjagt, und wir sind mitten in der Gegenwarts-Weltpolitik.
In die aber auch die zweiten ziemlich entscheidenden Gesprächsrunden auf Schloss Schönhausen führen: 1989/ 1990 tagte hier ziemlich oft der (geometrisch meist eckige) „Runde Tisch“ der späten DDR-Regierungen und der in der späten DDR-Zeit sehr wichtigen Gruppen, die nach der ersten freien Wahl plötzlich ziemlich unwichtig wurden. Eine Sitzung der internationalen Zwei-plus-Vier-Gespräche, die dann dazu führten, dass die DDR sehr sang- und klanglos verschwand, fand dort auch statt.
Ob das uneingeschränkt ideal gelaufen war, liegt natürlich auch in den Augen der Betrachter. Gedanken darüber kann man im Schloss und im Park drumherum (mit dessen Gestaltung die Königin-Luise-Schwester und Prinzessin Friederike von Mecklenburg-Strelitz bzw. Cumberland den bekannten Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné beauftragt hatte, bevor sie wusste, dass sie überraschend noch vorletzte Königin von Hannover werden würde …) ganz gut nachgehen. Durch den Park fließt übrigens auch das hier schon mal erwähnte Flüsschen Panke. Vom nahen Zentrum des ehemaligen brandenburgischen Dorfs Pankow, das, als es nach Berlin 1920 eingemeindet wurde, noch immer bloß Dorf war (sich ein Rotes Rathaus aber schon errichtet hatte), kann man dann gut wieder ins noch zentralere Berlin rein fahren.