Neubau älterer Schlösser ist gerade Metropolenmode. In Berlin wie auch in Potsdam werden derzeit solche neu errichtet, die nach Weltkriegsbeschädigungen in der DDR gesprengt worden waren, ein paar Jahrzehnte gar nicht da waren und von weiten Teilen der Bevölkerung nicht vermisst wurden. Wo so ein im Zweiten Weltkrieg als Ruine im Prinzip erhalten gebliebenes, erst 1960 auf Stadtratsbeschluss abgerissenes Schloss längst schon wieder aus dem Boden gestampft wurde und benutzt wird: in Braunschweig (Niedersachsen).
Die Fassade sieht täuschend echt aus (und ist erfreulicherweise patiniert, es wurde also sozusagen gleich im Used-Look gebaut). Dahinter wartet ein/e Shoppinghölle paradies center auf Besucher.
Am Rande links, wenn man davor steht, befindet sich seit 2011 auch ein Schlossmuseum. Dort wurden ein paar Säle des ursprünglicheren, von 1833 bis 1841 errichteten Schlosses, das vor kurzem eben nur von außen nachgebaut wurde, nachgebildet – allerdings in so verkleinertem Maßstab, dass die Bezeichnung „Zimmer“ dafür völlig ausreicht.
Im „Weißen Salon“, „wo einst die Herzöge zu Galadiners luden“, wartet eine „dem historischen Original nachempfundene Tafel“, auf Besucher, die an ihr Platz nehmen, allerdings um auf einer Menge Touchscreens „mediale Gedecke“ zu sich nehmen. Durch deren Menüs kann man sich in die Braunschweiger Geschichte hineintouchen, die durchaus interessant ist. Zum Beispiel gehört Braunschweig zu den ganz wenigen deutschen Städten, in denen es eine echte, partiell erfolgreiche Revolution gab: Weil dabei das vorige Schloss zerstört und der darin residierende Herzog anno 1830 erfolgreich vertrieben worden war, war der erste Schlossneubau notwendig geworden.
Da ergibt dann sogar der Audioguide des Schlossmuseums Sinn, in dem überwiegend bloß wohlklingende Stimmen in ungefähr dem Tonfall die „heitere Atmosphäre“ der nachgemachten Schlosszimmer anpreisen, in dem sonst aktuelle Sonderangebote im Supermarkt angepriesen werden: wenn nämlich die Gattin des letzten Herzogs von Braunschweig (der wie so allerhand Welfen Ernst August hieß und wohl tatsächlich der Urgroßvater der gleichnamigen, gegenwärtig prominenten Celebrity ist), die 1980 verstorbene Kaiserstochter Viktoria Luise, im O-Ton von der Novemberrevolution 1918 erzählt. Da habe es zwar „wildes Palaver“ gegeben. Den einzigen tatsächlich im Schilde geführten Akt des Aufruhrs, den Diebstahl eines Zigarettenkästchens durch einen Revolutionär, habe jedoch ein anderer verhindert. Andererseits, um die Braunschweiger Revolutionäre von 1918 nicht geringzuschätzen: Dieser Ernst August war allererste der regierenden deutsche Fürsten, der nach dem Ersten Weltkrieg abdanken musste.
„Es war ein besonderer Glücksfall, als in einer Lyoner Seidenmanufaktur die originalen Webvorlagen von 1866 sowie eine Stoffprobe der Wandbespannung des Braunschweiger Residenzschlosses zur Zeit Herzog Wilhelms gefunden wurden. Dies ermöglichte es nicht nur, die Motive der Seidentapete nachzuweben, sondern auch die genaue Farbgebung festzustellen“, freut sich das merkwürdige Museum [in dem man nicht fotografieren darf] im hier download-baren Textdokument. Zwar verstrahlen der Thron und viele Gegenstände etwas aufdringlich preiswerten Glamour – aber zumindest teilweise war es wohl das, was auf kleineren Residenzen residierende Fürsten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts schätzten.
Kurz zur Hauptsache des Schlossneubaus, dem Shoppingcenter. Wie schon durchschimmerte, bin ich kein Freund solcher Einrichtungen, muss aber sagen: Es ist relativ großzügig gestaltet. Wer sich vom reichhaltig angebotenen Essen kauft, muss das nicht wie in anderen Shoppingcentern (auch desselben Betreibers ECE) auf lehnenlose Holzbänke gedrängt verdrücken, sondern kann es unter kleinen Palmen in Polstersesseln tun. Deren Lederoptik wirkt jedenfalls edler als das Fürsteninterieur im Schlossmuseum. Vielleicht soll das ja sogar unterschwellig die alte Phrase vom Kunden, der heuzutage König ist, in Erinnerung rufen; schließlich hatten die Braunschweiger Fürsten zwar durchaus, zumal als eine Braunschweiger Prinzessin Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs war, Hoffnungen auf einen klangvolleren Titel wie etwa den des Königs gehegt, ihn aber nie bekommen…
Oben auf dem Shopping-Schloss steht dann noch „die größte Quadriga Europas“, tatsächlich eine echte (allerdings noch einmal öfter als das Schloss, also zum zweiten Mal nachgemachte) Wuchtbrumme namens Brunonia. 25, 8 Tonnen schwer soll die aktuelle Ausgabe sein, während ihre Vorgängerin (die nach noch einem, 1865 unrevolutionär ausgebrochenen Schlossbrand nötig geworden war) lediglich 15 Tonnen wog. Und wtf ist Brunonia? Die „Braunschweigische Stadt und Landesgöttin“, in welche die ursprünglich für die erste Schlossspitze als Wagenlenkerin eingeplante Victoria während der Planungsphasen umbenannt worden war. Insofern kein Wunder, dass Brunonia grundsätzlich schnöden Allerwelts-Victorias (wie etwa eine die bekanntere Quadriga auf dem Brandenburger Tor steuert) ähnlich sieht.
Der Größte-Quadriga-Superlativ unterstreicht sozusagen Braunschweigs Stolz auf „die erste monumentale Freifigur nördlich der Alpen“: Heinrichs des Löwen Löwe auf dem nahen Burgplatz – auch wenn die Quadriga nicht frei steht, sondern man an einem Parkticketautomaten-artigen Kasse zwei Euro zahlen muss, um sie besichtigen zu können.
Nicht zu Unrecht stolz ist Braunschweig ansonsten darauf, „die Wiege des deutschen Fußballs“ zu sein. Zumindest müsste, wenn sogar Fürth das geschafft hat, die Eintracht wirklich mal wieder in die Bundesliga aufsteigen.
Braunschweig IST die Wiege des deutschen Fußballs und WIRD aufsteigen!
Braunschweig wäre nicht die Wiege des deutschen Fußball, hätten es die Braunschweiger Arroganzien inklusive einiger Personen des damaligen Kollegiums des Martino-Katharineum durchgesetzt, dass der dortige junge Lehrer Konrad Koch einer Gruppe von Schülern das aus England mitgebrachte Fußballspiel eben nicht beibringen sollte. Koch selbst konnte sich gegen Schulleitung und seine damaligen Braunschweiger Widersacher, die im Spiel „nationale Zersetzung“ sahen, allein kaum durchsetzen. So griff jemand nach einem Trick und bat die kaiserlich-preußische Bewertungskommission aus Berlin zur Inspektion nach Braunschweig, die sich das neue fremdländische Spiel ansah und zur Übereinstimmung kam, dass Fußball den Deutschen nicht schaden könne. Damit hätten wir den deutschen Fußball eher Berlin denn den Braunschweigern zu verdanken. Koch gründete 1890 den ersten Fußballclub in Berlin, nicht in Braunschweig.
Nach anderen Quellen fand das erste Fußballspiel auf deutschem Boden allerdings schon im April 1874 in Dresden statt. Dort hatten nach einem Bericht der Leipziger Zeitung vom April 1874 Engländer den Dresden English Football Club gegründet.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Koch