überallistesbesser.de

Widder, Zobel, Geyer (Giebelstadt)

Die Ortschaft Giebelstadt ist trotz ihres Namens keine Stadt, sondern ein „Markt“. So heißen in Bayern Orte, die nicht einwohnerstark genug, um als Stadt zu gelten, aber größer als Dörfer sind. Giebelstadts Wappen, das im Internetauftritt des Hauses der Bayerischen Geschichte ausgiebig erläutert wird, zeigt einen Ziegenbock- oder Widderkopf. Kurios dabei: In Giebelstadts Herrschaftsgeschichte, die sich im Ortsbild sichtlich spiegelt, spielten gleich zwei Adelssippen mit klangvollen Tiernamen jahrhundertelang Rollen. Allerdings, mit Widdern, Ziegen und ähnlichen Tieren hatten sie nichts zu tun.

Giebelstadt, Zobel-Schloss
Das erste Zobels-Schloss in Giebelstadt …

Vielmehr hießen die Sippen, von deren Herrschaft zwei Schlösser und eine Burgruine künden, Zobel von Giebelstadt und Geyer von Giebelstadt. Diese Geyer „legten sich anstelle eines Pferdekopfs“ – womit also noch ein viertes Tier ins Spiel kommt – „einen Widderkopf als Wappenbild zu“, informiert das HDBG. Wappenkunde spiegelt oft die Kompliziertheit von Herrschaftsgeschichte. Und im Staatsgebilde mit dem pompösen Namen „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ (HRR) gab es viele kleine Reichsritter-Herrschaften, die oft bloß einzelne Dörfer enthielten. Die Herrscher ließen sich dort solche Schlösser errichten, die die von ihren Untertanen erwirtschafteten (bzw. aus ihnen herausgepressten) Einnahmen halt hergaben. Naturgemäß sahen und sehen solche Bauten im Vergleich mit anderen in größeren Residenzstädten oft bescheiden aus. Kondominien, in denen zwei Sippen sich Herrschaftsrechte teilten und jeweils Residenzbauten erbauen ließen, gab es überdies.

Das zweite Zobels-Schloss in Giebelstadt ist heute das Rathaus

Der unter den zahlreichen in und um Giebelstadt regiert habenden Reichsrittern relativ bekannteste ist Florian Geyer von Giebelstadt. Seine Bekanntheit erlangte er im Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts, den ich neulich hier als die „vielleicht größte Revolution der deutschen Geschichte“ bezeichnet hatte.

Lokalheld Florian Geyer …

Dieser Florian ist eindeutig Giebelstadts Lokalheld. Davon zeugen außer einem Denkmal vor der Kirche die „Florian-Geyer-Festspiele“ in Giebelstadts Burgruine. Er war als Ritter älteren Schlags, also Krieger, vielfältig unterwegs, von Ostpreußen (wo er im „Dienst des Hochmeisters Albrecht von Preußen“ stand – der dort den Deutschordens-Staat mehr oder weniger auflöste, indem er die Refomation einführte) bis in die Niederlande, weiß die Neue Deutsche Biografie. Sicher ist er der umstrittensten Persönlichkeit seiner Zeit begegnet, Martin Luther. 1525 schloss Florian Geyer sich dann „als Hauptmann oder Bauernrat den Tauberbauern an, die in der fränkischen Bauernschaft aufgingen. Er machte sich ihr Programm einer Reichsreform und die Forderung, daß sich Adel und Kirche künftig nach gemeinen Bürger- und Bauernrechten halten sollten, zu eigen“.

Giebelstadts Denkmal für Florian Geyer (r. neben einem Bauern)

Als feudaler Herrscher hatte er sich also, offenkundig aus Überzeugung oder Erkenntnis der herrschenden Ungerechtigkeit, auf die Seite der unterdrückten und revoltierenden Bauern geschlagen. Ungemein viel über seine eigene Programmatik ist nicht bekannt – wohl genau deshalb.

Schließlich unterlagen die Bauern im Bauernkrieg schnell und wurden in großer Zahl erschlagen oder hingerichtet. Vermutlich ging es den feudalistischen Siegern im Bauernkrieg besonders um zweierlei: einerseits die Arbeitskraft der besiegten Bauern nicht zu stark zu schwächen, von der sie schließlich profitierten (und ihre Schlösser, äh, erwirtschafteten). Andererseits die aus damaliger Sicht revolutionären, aus heutiger: demokratischen Prinzipien in der Versenkung verschwinden zu lassen. Das ist den Bauernkriegs-Siegern gelungen. Demokratie-ähnliche Ideale spielten in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten kaum eine Rolle. Vermutlich auch, um das zu erreichen, erging es schreibkundigen Anführern und Mitstreitern der Bauern aus höheren Schichten oder aus Städten selten besser, von Florians Standesgenosse Götz von Berlichingen mal abgesehen (der nur unfreiwillig zeitweise Bauernhaufen befehligt … oder später erfolgreich diesen Eindruck erweckt hatte). Einige wurden gevierteilt wie der Maler Jörg Ratgeb, dessen Werke mitten in der Frankfurter Innenstadt noch zu sehen sind. Wie genau Ratgebs noch bekannterer Kollege und Zeitgenosse Tilman Riemenschneider im Würzburger Schloss gefoltert wurde, ist nicht bekannt. Zwar lebte er noch einige Jahre weiter (und zeigte sich, neueren Erkenntnissen zufolge, in anderen Zusammenhängen weiterhin in der Öffentlichkeit), aber Kunstwerke schuf er keine mehr.

… mit wendungsreichem Nachleben im 20. Jahrhundert

Insofern hatte Florian Geyer von Giebelstadt vielleicht sogar Glück, dass er nach dem Höhepunkt und Ende des Bauernkriegs einfach erschlagen wurde, womöglich bei einem Raubüberfall. Aus heutiger Sicht, aus der die unterdrückten Bauern so was von recht hatten, dass niemand mehr die Position ihrer damaligen Gegenseite vertreten würde, scheint es seltsam, wie wenig bekannt Geyer jenseits von Giebelstadt ist. Das hat Gründe im 20. Jahrhundert. Erstmals fanden die „Florian-Geyer-Festspiele“ 1925 statt, in Anlehnung an ein Theaterstück des späteren Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann aus den 1890er Jahren und an das ebenfalls in den 1920ern entstandene Lied „Wir sind des Geyers Schwarzer Haufen“. Sie liefen zunächst bis 1938, waren also auch den Nazis, die nach ihrer Machtübernahme 1933 die Kulturszene in ihrem Sinne umpflügten, kein Dorn im Auge. „Die Nationalsozialisten benannten die 8. SS-Kavalleriedivision der Waffen-SS nach ihm“, heißt es im Wikipedia-Artikel zu Geyer. Und dennoch war Geyers Nachwirkung im 20. Jahrhundert mit dem Ende der Nazizeit noch nicht beendet. In der DDR wurden ein Grenzregiment und LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften) nach ihm benannt, sowie „etliche Straßen …, besonders häufig in ländlichen Gemeinden und in Wohnlagen mit Bezug zur Bodenreform (Neubauerndörfer)“.

Von den Geyern von Giebelstadt ist bloß noch ein Rest Burgruine erhalten.

Vermutlich aus dieser Gemengelage heraus fanden gut hundert Kilometer südwestlich der Zonengrenze, in Geyers Heimat-Markt Giebelstadt, seine Festspiele nach dem 1945 erst mal wieder nicht statt. Wohl weniger, weil der Name des frühneuzeitlichen Bauern-Hauptmanns in der Nazizeit missbraucht worden war, sondern eher, weil die kommunistischen Systemrivalen ihn weiterhin gebrauchten.

Erst 1979/80 lebten die Festspiele wieder auf, lässt sich der Giebelstädter Imagebroschüre entnehmen (die im Rathaus, dem „Friesenhäuser Schloss“ einer Zobels-Linie, auslag, als ich vorbeikam)… Nicht, dass ich von mir erzählen möchte (oder gerne gesungen hätte), aber: In den 1970er Jahren in einem südniedersächsischen Dorf in einem Kinderkreis der evangelischen Kirche, sang der Pfarrer mit uns das erwähnte „Schwarzer Haufen“-Lied. Vermutlich damals fand in Westdeutschland eine Neubewertung des Liedes, das zuvor „mehrfach, etwa im Nationalsozialismus und in der DDR, als politisches Kampflied instrumentalisiert“ worden war (Wikipedia), und überhaupt Florian Geyers statt.

Wenn, dann war das ein Akt historischer Gerechtigkeit. Man kann ja weder pauschal die 1920er Jahre, noch erst recht Florian Geyer, der mehr als ein halbes Jahrtausend zuvor gelebt hatte, für die Menschheitsverbrechen der Nazizeit verantwortlich machen. Oder für die schließlich misslungene Staatsidee DDR. Die nächsten Aufführungen der „Florian-Geyer-Festspiele“ sollen im Juli 2023 wieder stattfinden.

Was es mit Giebelstadts Flugplatz auf sich hat

Dass es in Giebelstadt, das wie gesagt gar keine Stadt ist, sehr viel zu sehen gibt, lässt sich nicht behaupten. Ein Museum enthält der Marktflecken nicht. Die ältere Kirche war, als ich vorbei kam, wie die meisten evangelischen Kirchen verschlossen. (Wobei: dass die so nahe beim hochkatholischen Würzburg gelegene Ortschaft evangelisch geprägt ist, zeugt auch von Herrschaftsrechten der örtlichen Reichsritter). Das eine Schloss ist das erwähnte Rathaus, sieht von außen dezent barock und innen drin funktional gestaltet aus. Das andere ist in Privatbesitz und wartet wohl schon länger auf eine sinnvolle Nutzung. An Schlössern von Rittersippen, Fürstbischöfen und anderen ehemaligen Herrschern mangelt es in Franken wahrlich nicht. Bei der Geyerschen Burgruine schließlich handelt es sich um einen sehr kleinen Bautenrest, der sicher einen stimmigen Hintergrund für die Festspiele darstellt, ansonsten aber nicht ungemein ins Auge springt. Doch zwei Wanderwege gibt’s: außer „Weiß der Geyer“ (dessen Etappe namens „Ingolstadt“ nicht mit der gleichnamigen Stadt verwechselt werden darf; da handelt es sich um einen dörflichen Ortsteil des Markts Giebelstadt!) noch einen weiteren, der unter anderem zu Giebelstadts noch immer bestehendem Flugplatz führt und erklärt, dass in der Nazizeit geheimer Düsenfliegerversuche wegen „der Name ‚Giebelstadt‘ von allen deutschen Landkarten gestrichen“ worden war.

Hier geht’s zum Giebststadter Flughafen, den erst die Nazis nutzten, dann die US-Airforce

Übrigens ist auch der Auftraggeber des räuberischen Überfalls, bei dem Florian Geyer 1525 wohl erschlagen wurde, noch bekannt. Er wurde ebenfalls gevierteilt – allerdings mehr als 40 Jahre nach der an Geyer verübten Tat aus völlig anderen Gründen. Dafür müsste man nach Rimpar, einen anderen Markt im Landkreis Würzburg (mit engerem Tilman-Riemenschneider-Bezug), sowie ins thüringische Gotha schauen. Vielleicht demnächst mal an dieser Stelle …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert